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Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind
Autoren: Jakob Melander
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Kugel im Herzen.« Frelsén schob sich mit dem Zeigefinger die Brille wieder die Nase hoch. »Sehr hübsch. Direkt über der linken Brust. Bint hat eine feine Korona aus Pulverrückständen am Einschussloch gefunden. Außerdem wurden ihre Augen entfernt.«
    Es wurde still.
    »Bint?«, fragte Sanne nach einer Weile. Ihre Stimme bebte nur ein wenig.
    »Wallid Bint«, erklärte Lars. »Wir benutzen nur selten seinen Vornamen. Okay«, sagte er an Frelsén gewandt. »Kannst du es mir bitte genau erklären?«
    »Kommt mal mit.« Frelsén bedeutete ihnen, ihm zu folgen, und ging wieder ins Wasser, auf die andere Seite der Leiche. Lars, Sanne und Toke stellten sich ans Ufer. Allan blieb ein Stück entfernt stehen.
    Ein Duft, der irgendwie an Krankenhaus erinnerte, hing über dem Wasser, vermischt mit dem Geruch von Algen. Lars sah nach unten.
    Sie lag auf dem Rücken, nackt, mit leicht gespreizten Beinen und vorgedrücktem Brustkorb, weil sie auf einer Wurzel lag. Die gummiartige Haut hatte eine unnatürlich gelblich weiße Tönung. Das Wasser reichte ihr bis zu den Knien, der Rest des Körpers lag an Land. Entweder hatte sie eine sehr spärliche Behaarung, oder das dunkle Schamhaar hatte nach einer Rasur erst wieder begonnen zu wachsen. Die Totenstarre hatte bereits eingesetzt, und ihre Unterarme waren senkrecht ausgestreckt. Das Gesicht war zu einem Ausdruck von Entsetzen und Abscheu verzerrt. Über der linken Brust war das ausgefaserte Einschussloch der Kugel zu erkennen.
    »Junge Frau«, sagte Frelsén. »Vermutlich Osteuropäerin, wahrscheinlich Prostituierte. Todesursache: ein einzelner Schuss ins Herz. Nach dem Zustand der Haut zu urteilen hat sie nicht länger als acht Stunden hier gelegen.« Er hob den Unterschenkel der Leiche, bis ihre Zehen aus dem Wasser ragten. Alle sahen die runzlige Haut, bemerkten aber auch, dass die Verwesung noch nicht sehr fortgeschritten war. Frelsén zog eine kleine Maglite aus der Brusttasche und leuchtete in die Mischung aus Schlamm, Tang und Sand unter ihrer linken Schulter. Dort glitzerte etwas.
    »Bint meint, es sei Glas.«
    Lars blickte über den kleinen See auf Ørestaden, das hinter der flachen Böschung lag.
    »Wie lange …?«
    Frelsén richtete sich auf.
    »… sie schon tot ist? Das erfordert weitere Untersuchungen. Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich es allerdings für vertretbar, folgende Reihenfolge festzuhalten: Zunächst wurden ihre Augen entfernt – vermutlich unter Betäubung, da die Schnitte sehr sauber sind –, danach wurde sie erschossen.«
    »Hat sie … war sie bei Bewusstsein … währenddessen?« Sanne räusperte sich.
    »Als ihr die Augen entfernt wurden? Kaum. Danach? Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ja.«
    »Pfui Teufel«, flüsterte Allan hinter ihnen. Sogar die Techniker hatten ihre Arbeit unterbrochen.
    Lars hob die Stimme. »Wie wurde sie hierhertransportiert?«
    Allan las von seinem Notizblock ab.
    »Dort drüben wurde etwas Schweres durchs Gebüsch gezogen. Bint fand ein paar Kleiderfasern, möglicherweise von einer Autodecke. Außerdem gibt es noch Fußabdrücke, Größe 45. Und oben am Schotterweg haben wir ein paar Reifenspuren gefunden.« Er wies mit dem Daumen über die Schulter.
    »Gut«, sagte Lars. »Lasst die Hunde kommen. Mal sehen, ob die etwas finden.«
    Frelsén rieb sich die Hände.
    »Willkommen daheim, Lars. Komm mal her, hier runter«, kommandierte er mit einer Stimme, die keine Widerrede duldete. Hinter ihnen balancierten ein paar Sanitäter eine Bahre die bewachsene Böschung hinunter.
    Lars schloss die Augen. Wünschte sich zurück nach Kato Vasiliki, zurück in Nikkis Strandrestaurant, zurück an den Ort, an dem es nichts zu tun gab, außer Frappé und Amstel-Halbe zu trinken und über das Wasser auf Patras zu schauen.

4
    Es war beinahe sieben, als Lars endlich die Haustür am Folmer Bendtsens Plads 2 aufschloss. Als er den Schlüssel ins Schloss steckte, rumpelte eine S -Bahn von der Haltestelle Nørrebro los. Der Lärm und der Luftdruck ließen die Aushänger der Zeitungen am Kiosk nebenan flattern. Eine einzelne Zeitungsseite wurde auf die Fahrbahn geweht. Aus dem Ring-Café im Erdgeschoss rechts war Flaschenklirren zu hören. Ein Besoffener wurde von seinen Kumpels beruhigt. Mit einer müden Bewegung schob Lars die Tür auf, griff nach der Tüte aus dem Thai-Take-away und stapfte in die zweite Etage. Der erste Arbeitstag nach zwei Monaten Urlaub. Er schaffte es kaum über die Schwelle.
    Nach dem Abtransport der
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