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Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind
Autoren: Jakob Melander
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kommt, hat die Nacht den Tag abgelöst. Mutter schaukelt im Wohnzimmer noch immer ihr Krii krii. Großvater ist noch nicht wieder nach Hause gekommen.
    Er stellt das Glas auf den Spieltisch. Die bleichen Körperteile dümpeln still in der Bewegung der Flüssigkeit, kommen nach und nach zur Ruhe. Er steht vor ihr, Staubplacken kleben ihm an Knie und Stirn. Sein Gesicht, eine Fratze.
    Sie schaut das Glas nicht an. Ihre Lippen verziehen sich zu einem seltsamen Lächeln, ihre Pupillen sind tiefschwarz. Sie sieht zu ihm auf und spricht zum ersten Mal.
    Vater hat sie genommen. Vater hat alles genommen.

Sonntag, 15. Juni

5
    Ein wahnsinniger Lärm drang durch seinen Schlaf und bohrte sich ihm in den Gehörgang. Er fuhr auf und schlug mit der Stirn an die Kante der kleinen Kommode neben dem Bett.
    »Au, verfl…«
    Er krümmte sich und hielt sich die schmerzende Stelle. Wieder diese Musik. Halbblind fummelte er nach der Höllenmaschine und wollte sie schon aus dem Fenster werfen, als er auf die Idee kam, das Telefon einfach abzustellen.
    Gesegneter Friede.
    Kurz darauf donnerte eine S -Bahn in die Station gegenüber, die Fenster im Wohnzimmer klirrten. Willkommen in Nørrebro.
    Ein schnelles Bad, Müsli und Anziehen – dunkelblaues, locker aus der Hose hängendes Hemd, Jeans und Sneakers –, Kaffee und eine erste Zigarette, dann aus der Tür. Sie wollten sich mit Frelsén um 09:00 Uhr im Rechtsmedizinischen Institut zur Obduktion und Leichenschau treffen.
    Achtundzwanzig Minuten später. Lars hastete über den Blegdamsvej zum Frederik V ’s Vej. Er lief den Fælledpark entlang, blickte nach oben. Wieder einer dieser blauen Tage mit einem unendlichen Himmel. Ein weißer Fiat 500 hielt neben ihm, als er sich schwitzend dem Eingang des Rechtsmedizinischen Instituts in Nummer 11 näherte. Sanne kurbelte das Fenster hinunter.
    »Guten Morgen.«
    »Hej … ich meine … guten Morgen.«
    Er trat einen Schritt zur Seite und ließ sie auf einen der freien Parkplätze abbiegen. Wartete auf der anderen Seite des Wagens, bis sie ausstieg.
    »Es hat geklappt.« Sanne hob den Kopf, als die Zentralverriegelung klickte. »Es hat ein paar Stunden gedauert, aber schließlich haben wir zwei slawische Mädchen gefunden. Erst wollten sie nichts sagen, aber als ich sie auf einen Kaffee einlud und Toke bat, uns allein zu lassen … Na ja, ein paar Caffè Latte waren schon nötig.«
    »Gute Arbeit. Erzähl.«
    Sie gingen zusammen die Treppe hinauf. Lars blieb vor der Tür stehen und trat zur Seite, um eine Gruppe Studenten vorbeizulassen. Sanne fuhr fort: »Sie hieß Mira und stammte aus Bratislava. Sie und zwei andere Mädchen teilen beziehungsweise teilten sich ein Zimmer in der Mysundegade. Ich war mit ihnen dort, um ihre Sachen zu holen.« Sanne musste schlucken. »Es liegt alles im Präsidium.«
    »Wer war ihr Zuhälter?«
    »Sie sprachen von zwei kosovo-albanischen Brüdern, Ukë und Meriton Bukoshi. Sagt dir das was?«
    Lars nickte.
    »Die Mädchen wollten eigentlich nicht reden«, berichtete sie weiter. »Sie haben erzählt, die Brüder hätten Mira in dem Zimmer verprügelt, knapp eine Woche bevor sie verschwand. Es war übrigens …« Sanne zog einen Notizblock heraus. »… am 4. Mai.«
    »Am Tag der Befreiung Dänemarks? Hm.« Lars fasste sie unter den Arm und zog sie zur Tür. »Komm, sie warten schon auf uns …«
    In diesem Moment ging die Tür auf, und Ulrik kam heraus. In frisch gebügelter Uniform.
    »Lars, Sanne. Gut, dass ich euch hier draußen erwische …« Ulrik zögerte, steckte die Hände in die Taschen. »Ich habe heute Morgen mit dem Leiter der Mordkommission gesprochen, Lars.« Ulrik sah ihn prüfend an. Lars erwiderte nichts, wartete ab. Ulrik seufzte.
    »Du hast um eine Versetzung zur Polizei von Nordseeland gebeten, nach Helsingør. Ist das korrekt?« Er atmete jetzt ein wenig schneller.
    »Ich brauche eine Luftveränderung.« Lars zuckte die Achseln.
    Sanne trat einen beinahe unmerklichen Schritt zurück, blickte von einem zum anderen.
    »Hättest du dir eventuell vorstellen können, mich zuerst zu informieren? Als Vorgesetzten, als … Freund?«
    »Nee, eigentlich nicht.«
    Ulrik schnappte nach Luft. »Du kannst nicht in einem Mordfall ermitteln und gleichzeitig auf gepackten Koffern sitzen. Du bist mit sofortiger Wirkung von dem Fall abgezogen!«
    Lars pulte eine Zigarette aus der Schachtel. Jetzt konnte er zumindest rauchen.
    »Willst du dich dazu nicht mal äußern?«
    Lars zuckte erneut die Achseln
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