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Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind
Autoren: Jakob Melander
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Leiche hatte Lars Allan losgeschickt. Zum Copenhagen Danhostel Amager und zu den Kleingärtnervereinen. Laut Frelsén war die Leiche nach Mitternacht an den Fundort gebracht worden. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand etwas gesehen hatte, war verschwindend gering. Trotzdem musste gefragt werden. Wie immer. Sanne und Toke fuhren mit einem Polaroidfoto des Gesichts der Toten nach Vesterbro, sie sollten es dort den Mädchen auf der Straße zeigen. Hoffentlich gab es jemanden, der sie kannte. Wenn nicht, konnte sich die Identifizierung hinziehen. Er selbst war sämtliche Berichte über verschwundene Personen aus den letzten drei Monaten durchgegangen. Ohne Resultat.
    Weder Allan noch Sanne und Toke waren zurückgekommen, und nach viel zu vielen Tassen Kaffee und viel zu vielen Berichten – Ulrik kam zwei Mal zu ihm ins Büro, sie hatten lediglich wenige, eher einsilbige Sätze gewechselt – war er aufgestanden und gegangen.
    Ein dumpfer, leicht muffiger Geruch schlug ihm entgegen, als die Tür aufging. Er hatte die Wohnung nicht mehr betreten, seit er seine Sachen hierhergebracht hatte … am Abend, bevor er nach Athen geflogen war.
    Die Wohnung bestand aus einem kleinen Flur, zwei Zimmern zur Straße, einem Schlafzimmer und einer Küche zum Hof. Das winzige Badezimmer befand sich links, direkt neben der Wohnungstür. Unglaublich, dass es der Stadtsanierungsbehörde gelungen war, hier eine Dusche unterzubringen. Alles würde nass werden, aber immerhin gab es ein Badezimmer.
    Im ersten Zimmer standen die Umzugskartons mit der Stereoanlage und den LP s, außerdem ein Tisch. Er stellte die Tüte mit dem Essen auf den Tisch, ließ sich auf einen Stuhl fallen, streifte seine Sneakers ab und warf seine Jacke in die Ecke. Steckte sich eine King’s an und legte die Beine hoch.
    Ahh.
    Während ihm das Nikotin durch den Körper strömte und ins Gehirn schoss, sah er sich um. Raufasertapete, achtziger Jahre. Die Farbe an den Wänden und der Decke war vermutlich irgendwann einmal weiß gewesen, doch nach knapp dreißig Jahren und unzähligen Zigaretten hatte sie einen unbestimmbar gelblichen Ton angenommen. Dagegen musste etwas getan werden. Er stand mit der Zigarette im Mundwinkel auf, schob die Hände in die Hosentaschen und ging durch die Tür in das andere Zimmer. Noch mehr Kartons, ein zerschlissenes Sofa, der Fernseher. Er öffnete die Balkontür. Die Türangeln kreischten. Der Zigarettenrauch vermischte sich mit Benzingestank und dem Geruch des warmen Asphalts. Ein auberginefarbener Toyota, der kurz vorm Auseinanderfallen war, tuckerte klappernd in den Kreisel. Straßen, Bürgersteige, Häuser, alles war durchgebacken, stank nach stickiger Sonnenhitze. Lars rollte die Hemdsärmel auf und zog an seiner Zigarette. Betrachtete die Aussicht über den Folmer Bendtsens Plads unter der Hochbahn, an dem der Ørnevej auf die Bregnerødgade traf. Auf der anderen Seite des Kreisels das Geschäft eines Gemüsehändlers, außerdem ein Laden, der laut Firmenschild Auspufftöpfe verkaufte.
    Das sollte also nun sein Zuhause sein …
    Er schnipste die Kippe vom Balkon und ging wieder in die Wohnung, ließ die Tür offen stehen. Er schaute in die Küche. Eine Kopenhagener Standardküche mit zwei schmalen Fenstern zu einem dunklen Hof. Er stellte die Milch in den Kühlschrank, den Kaffee und die Haferflocken in den von einer fettigen Schicht überzogenen Oberschrank. Dann suchte er den Umzugskarton mit dem Geschirr, fischte einen Teller und eine Gabel heraus und wusch sie ab.
    Das Bild der toten Frau wollte nicht verschwinden. Nackt und verletzlich am Ufer, die leeren Augenhöhlen starrten ins Nichts. Lars trocknete die Gabel ab, legte sie auf den Teller und ging ins Wohnzimmer. Er hatte Hunger, aber erst musste er die Stereoanlage aufbauen. Ohne Musik ging es nicht.
    Er fand das flache Regal, stellte Verstärker, Vorverstärker und Lautsprecher an ihren Platz, verkabelte die einzelnen Teile und steckte den Stecker in die Dose. Jetzt fehlte nur noch der Plattenspieler. Der alte Rega P1. Er hob ihn aus dem Umzugskarton, platzierte ihn neben den Verstärker aufs Regal, steckte die Kabel ein.
    Es dauerte eine Weile, bis er den Karton mit den LP s gefunden hatte, doch schließlich setzte er die Nadel auf Get Yer Ya-Ya’s Out und konnte sich seinem Hühnchen mit Cashewnüssen und scharfem Chili widmen.
    Nach dem Essen schloss er im zweiten Zimmer den Fernseher an. Er drehte ihn so, dass er vom Tisch aus den Bildschirm sehen konnte, und
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