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Blutsgeschwister

Blutsgeschwister

Titel: Blutsgeschwister
Autoren: Dia Reeves
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der Mitte des Gartens bildeten kopflose, anmutig gestaltete Statuen, die dem Garten seinen Namen gaben, einen Kreis. Fancy liebte es, die Statuen anzusehen, besonders weil sie sie so lange anschauen konnte, wie sie wollte, und sie konnten nicht verächtlich zurückschauen oder abfällige Fragen über Daddy stellen und darüber, ob es stimmte, dass er alle seine Opfer gegessen hatte.
    Aber die Statuen zu betrachten, beruhigte sie nicht. Weil sie bluteten. Schnitte wie von unsichtbaren Peitschen tauchten wahllos auf ihrer goldenen Haut auf, und ihr Blut war Goldstaub, der wie Blütenpollen durch die Luft stob und in der Sepialandschaft leuchtete. Das goldene Blut lockte Fancy an, sie rannte darauf zu und spielte damit, versuchte es mit ihrer Zunge zu fangen wie Schnee.
    »Fancy!«
    Fancy riss sich von der Scheibe los, blinzelte und versuchte, nicht auf das wimmernde Elend auf der Pritsche zu achten, aber sie schaffte es nicht. »Was?«
    »Ich hab gefragt, ob du mal willst.« Kit bemerkte den beigefarbenen Glanz auf der Scheibe und rannte strahlend zum Kinetoskop. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst mir sagen, wenn Daddy …« Die Hoffnung verschwand von ihrem Gesicht, als sie die seltsam blutenden Statuen sah. »Versuch’s noch mal.«
    Aber sobald Fancy an Daddy dachte, wurde die Scheibe schwarz.
    »Verdammt!« Kit trat gegen das gebogene Messingbein des Ständers und warf das Kinetoskop fast um. Unter Fancys missbilligendem Blick riss sie sich sichtlich zusammen und atmete tief durch. »Hör zu, warum nimmst du nicht das hier« – sie hielt ihr das blutige Messer hin – »und malst ein paar Kreuzchen auf unser Schätzchen da drüben? Dann kriegst du wieder einen freien Kopf.«
    Fancy sah zu dem Eindringling. Er trug jetzt kein Shirt mehr und war mit Tausenden blutigen Schnitten übersät. Manche sahen tief aus, vielleicht so tief wie der in seiner Seite. Sein Blut war nicht golden wie das der Statuen … Und doch glitzerte und lockte es sie auf ähnliche Art. Sie drehte sich von dem Messer weg und wischte ihre verschwitzten Hände an ihrem Nachthemdchen ab. »Du musst alle Schnitte nähen«, sagte sie, und ihre Stimme bebte nur ein kleines bisschen.
    »Findest du?«
    »Sonst verblutet er noch!«
    »Und? Tod durch tausend Schnitte.« Kit sah niedergeschlagen auf die leere Scheibe des Kinetoskops. »Glaubst du, Daddy hat schon mal jemanden auf diese Weise getötet?«
    »Du hast es versprochen.«
    Kit schnappte sich den Erste-Hilfe-Kasten vom Regal und warf ihn Fancy zu, die ihn vor lauter Überraschung fast verfehlt hätte. » Du nähst ihn.«
    Fancy öffnete den Kasten, begutachtete die Fäden und Operationsnadeln und kämpfte gegen die freudige Erregung an, die sie bei dem Gedanken ergriff, dem Eindringling Löcher in die Haut zu stechen. Sie trat die blutigen Fetzen seines Shirts zur Seite und kniete sich neben die Pritsche, aber Kit tat es ihr gleich.
    »Immer der Reihe nach.« Sie drückte Fancy das Messer in die Hand und umschloss sie nachdrücklich mit ihrer eigenen. »Erst bist du dran. Das ist nur fair. Wir machen alles zusammen.«
    Fancys Hände fingen wieder an zu schwitzen. Der Eindringling lag vor ihr wie ein seltsames gezuckertes Gebäckstückchen, das nur darauf wartete, angeschnitten zu werden. »Ich will das nicht.«
    Kit führte die Hand ihrer Schwester. Das Messer glitt verführerisch an der Unterseite seines nackten Arms entlang, der sich gegen die Fesseln drückte. Der Eindringling zuckte zurück, als ihn das Messer nahe der Achselhöhle berührte, als wäre er trotz seiner Angst kitzelig.
    »Wir sind fast schon dieselbe Person«, sagte Kit wie ein Zeichentrickteufelchen, das ihr verlockend ins Ohr wisperte. »Glaubst du, ich weiß nicht, was du willst?«
    Fancy schnitt schnell in seinen Unterarm, und genauso schnell schob sie Kit mit dem Ellenbogen weg. »Da, ich hab’s getan. Fertig.« Sie befreite ihre Hand von dem Messer, von Kit, von der Verführung. »Und jetzt geh und hol Peroxid, ich sehe keins im Regal.«
    Kit wollte sich nicht verscheuchen lassen. Sie stemmte ihre Hände in die Seiten. »Was hab ich dir zum Thema Rumkommandieren gesagt?«
    »Ich kommandier dich nicht rum, ich bitte dich. Also geh schon!«
    Kit blinzelte, da sie diesen Tonfall von Fancy so gut wie nie zu hören bekam. »Na gut, Spielverderberin.«
    Kaum hatte sich die Kellertür hinter Kit geschlossen, fing der Eindringling an, Fancy zu bearbeiten. »Bitte«, sagte er, die Stimme brüchig von Tränen und Blutverlust.
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