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Blutsauger

Blutsauger

Titel: Blutsauger
Autoren: M Bomm
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gnadenlos das sanft ansteigende Gelände nach Maspalomas hinauf.
    Brugger ging weiter. Er versuchte, sich in solchen Momenten vorzustellen, wie das wohl alles ausgesehen haben mochte, bevor in den 50er-Jahren der Tourismus über dieses Eiland im Atlantik hergefallen war. Ein paar Fischerhütten vielleicht, davor einige im Meer dümpelnde Boote. Doch schließlich waren die Geschäftemacher aufgetaucht, zuerst ein paar wenige, dann immer mehr. Vermutlich wurden die verlassenen Strände oder felsigen Abschnitte den Fischern für einen Bruchteil dessen abgeschwatzt, was die Grundstücke später wert wurden. Oder, was wahrscheinlicher erschien, man hatte die armen Leute gewissenlos übern Tisch gezogen, eventuell sogar im hehren Interesse des Allgemeinwohles enteignet. Möglich auch, dass sich mancher Tourismusraffke wertlos erscheinendes Ödland einfach still und heimlich unter den Nagel gerissen hatte. Es gab ja nichts – außer Salzwasser und Sonne. Wem sollte so etwas jemals nützen?
    Dass hier im südlichen Landstrich der Insel meist die Sonne schien, wenn alles andere in Nebel oder Regenwolken gehüllt war, dürften clevere Tourismusmanager bald erkannt haben. Dieses schöne Wetter, so hatte es Brugger schon viele Male bestätigt gefunden, war – wie übrigens auch drüben auf Teneriffa – der Topografie zu verdanken: Die meist von Nordosten anströmende feuchte Meeresluft, ein Ausläufer der Passatwinde, wird von den Bergen der Inselmitte in die Höhe gezwungen, kühlt auf diese Weise ab, bildet Wolken und regnet sich ab. Südlich der Berge gibt es gewisse Bereiche, die von all diesen Niederschlägen nichts abbekommen. Bereits 15 Kilometer davon entfernt können die Temperaturen deutlich niedriger und die Witterungsverhältnisse richtig ruppig sein. Oft schon hatte dies Brugger mit eigenen Augen gesehen, wenn er zum östlich gelegenen Flughafen gefahren war und dort der Himmel bereits einen Vorgeschmack auf das gab, womit nach einem vierstündigen Flug Mitteleuropa üblicherweise aufwartete.
    Doch auch wenn weithin gutes Wetter zu sein schien, konnte sich ziemlich schnell vom Insel-Hochgebirge aus ein breites Wolkenfeld in südöstliche Richtung auf das Meer hinausziehen – die sogenannte Passatwolke, die sich an manchen Tagen bisweilen hartnäckig hielt.
    Für Brugger waren diese Wetterphänomene ein kleines Wunder – vor allem zeigten sie, welche Urgewalten in der Atmosphäre herrschten. Für ihn ein Zeichen dafür, wie auf diesem Planeten jede Kraft und jedes Element seine Bedeutung hatte. Nichts war dem Zufall überlassen, nichts geschah nur deshalb, weil es halt gerade so passte. Nein, Brugger mochte nicht an diese modernen Theorien glauben, die keinen Platz mehr für das Wunderbare und Geheimnisvolle ließen. Mochte auch die Medizin noch so große Fortschritte erzielt haben – bisher hatte ihm keiner plausibel erklären können, weshalb irgendwann, halbe Ewigkeiten nach dem allseits propagierten Urknall, tote Materie plötzlich lebendig geworden sein sollte – und zwar so wunderbar, dass daraus ein komplizierter menschlicher Körper werden konnte, der ihn während seines Medizinstudiums zunehmend fasziniert hatte.
    Der Leuchtturm war inzwischen ein gutes Stück herangerückt. Zumindest hatte Brugger dies so empfunden, als er wieder seinen Gedanken entrückt war. Der mit rot markierten Pfosten gekennzeichnete Pfad führte jetzt an einer feuchten Fläche entlang, die aus Gründen des Naturschutzes gesperrt war. Brugger überlegte, ob er drüben bei den Straßencafés, die den Sandstrand zur Bebauung von Costa Meloneras hin begrenzten, einen Cappuccino trinken sollte. Noch bevor er eine Entscheidung treffen konnte, spürte er das Vibrieren seines Handys in der Tasche seiner bunten Bermudashorts. Er blieb stehen, fingerte das kleine Gerät heraus, erkannte auf dem Display eine vertraute Nummer in Spanien und meldete sich mit einem knappen »Ja, hallo«.
    »Nur kurz, zur Information«, hörte er die Männerstimme, während er zum Meer hinübersah, vor dem sich die Prozession der Strandgänger unablässig in beide Richtungen bewegte. »Wir müssen uns treffen, dringend.«
    »Treffen?«, fragte Brugger ungläubig nach. Er hatte seinen Freund erst vorgestern gleich nach der Ankunft angerufen und mit ihm vereinbart, am Sonntagvormittag, also morgen, zu ihm zu kommen. Die ersten Tage wollte er entspannen, vor allem sich aber auf Montag freuen – und auf die folgende Woche.
    »Möglichst noch heute!«,
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