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Blutsauger

Blutsauger

Titel: Blutsauger
Autoren: M Bomm
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seine Hormone durcheinandergewirbelt – so sehr sogar, dass er inzwischen unbewusst eine Anhöhe erklommen hatte, auf der sich der Horizont weitete und nicht mehr von Sandmassen eingeengt war. Er zog seine Schuhe wieder aus und ließ seinen Blick dorthin schweifen, wo weit in der Ferne die schneeweiße Fassade eines lang gezogenen, fünfstöckigen Hotelkomplexes die Sandfläche begrenzte – fast so, als stünde es in einer palmenbewachsenen Oase, die auch eine Fata Morgana hätte sein können. Brugger versuchte, mit zusammengekniffenen Augen die dritte Etage ausfindig zu machen, in deren Mitte er sein Zimmer hatte. Das RIU Palace Maspalomas hatte er seit seinem ersten Besuch ins Herz geschlossen. Es war nicht vom lauten Tourismus verrummelt, bot eine gediegene Atmosphäre und grenzte direkt an die Einöde, die er so sehr schätzte.
    Dieser Pfad durch die Dünen führte westwärts hinüber nach Costa Meloneras mit seinem Leuchtturm. Entlang des weitläufigen Strandes, der den Ort bogenförmig entlang der Dünenlandschaft drüben mit San Agustin verband, war die nie enden wollende Prozession jener unterwegs, die stundenlang am Meer schlenderten und gelegentlich auf dem feucht-festen Sand ein paar Meter dem Wasser entgegengingen, bis ihnen die nächste hereinbrechende Welle bis zu den Knien schlug.
    Im Winterhalbjahr gab es hier jede Menge Touristen, die nur der Sonne wegen kamen, die ausgedehnte Spaziergänge unternahmen und allenfalls in den Poolanlagen der Hotels ins Wasser stiegen. Viele andere, so auch Brugger, fuhren mit gemieteten Autos rauf in die Berge, um auf langen Wanderungen die Stille und Beschaulichkeit zu genießen, die mancher, der Gran Canaria lediglich mit den Bettenburgen an den Küstenstrichen in Verbindung brachte, hier nicht vermuten würde. Aber das war ja mit jeder dieser Kanarischen Inseln so – und sogar für Mallorca galt Gleiches: Von dem Halligalli der zubetonierten Küstenmeile war schon fünf, sechs Kilometer landeinwärts nichts mehr zu sehen.
    Elmar Brugger sog die Meeresluft tief in sich ein. Für einen Moment musste er daran denken, dass heute Faschingssamstag war und daheim die Narretei ihrem Höhepunkt entgegenstrebte. Er selbst konnte derlei organisiertem Treiben nichts mehr abgewinnen, obwohl er in seiner Jugendzeit kaum einen Ball oder Schwof ausgelassen hatte. Mittlerweile jedoch waren aus den einst seriösen Veranstaltungen reine Sauffeste geworden, die nicht selten in den frühen Morgenstunden mit üblen Prügeleien endeten. Er musste an seinen Kollegen Salbaisi denken, der kommende Nacht in der Ambulanz der Klinik all die Alkoholleichen und sonstigen Suffopfer verarzten musste. Der Arzt, der aus dem Irak stammte und am Rande der Schwäbischen Alb heimisch geworden war, verfügte über ein natürliches Talent, das ihn dazu befähigte, sowohl auf verletzte als auch auf plötzlich erkrankte Patienten beruhigend einzuwirken. Brugger beneidete den Kollegen für dieses Talent. Auch er selbst war eine Weile in diesen Schichtbetrieb eingeteilt gewesen, hatte aber nach einem halben Jahr alles darangesetzt, wieder davon wegzukommen. Er war nicht nur mit allem konfrontiert worden, was die Medizin an Schrecklichem hergab, sondern hatte es auch mit Randalierern und Hypochondern zu tun gehabt, die nichts Besseres wussten, als nachts um drei die Ambulanz zu behelligen.
    Was sich in den täglichen Medienberichten der Zeitungen so locker las, wie etwa, dass das Unfallopfer in die Ambulanz eingeliefert worden sei, beschrieb nur unvollständig, welche menschliche Anstrengung sich dahinter verbarg. Zehn Stunden und länger, in Nächten wie der kommenden meist ohne Pause, mussten im Viertelstundentakt Entscheidungen getroffen, Diagnosen erstellt und Behandlungen eingeleitet werden. Und wenn man Pech hatte, dann kotzten einem die Sturzbesoffenen die Bude voll. Brugger war selbst erschrocken, dass sein Gehirn solche Formulierungen zuwege brachte. Allerdings hatte er es damals wirklich so empfunden. In manchen Nächten war es ihm gewesen, als sei die Ambulanz so etwas wie eine Reparaturwerkstatt für lädierte Körper, in denen eine geschundene Seele steckte.
    Brugger hatte seinen Blick längst wieder von dem weißen Hotel gewandt, das gut zwei Kilometer entfernt im gleißenden Sonnenlicht strahlte. Er ließ seine Augen nach links wandern, hinüber zu dem dichten Palmenhain, in den sich ein Golfplatz schmiegte. Etwas weiter links fraß sich die Bebauung von Costa Meloneras unablässig und
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