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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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umher. Nichts hörte er mehr, nur das leise Raunen der Donau. Sie waren schon gefährlich nahe am Rand der Brücke. Wenn er die Stange fand …
    Da. Die Fingerspitzen tippten an etwas Kühles, Rundes. Lázlo grapschte danach und schlug mit letzter Kraft zu. Viel Kraft war das nicht mehr. Immerhin schwankte Imre, der Griff lockerte sich, und mit einem Schrei bäumte Lázlo sich auf, packte Imre und warf sich zur Seite, sodass sie abermals auf der Brücke herumrollten, bis zur Brüstung, bis zum Rand, der nicht gesichert war. O nein, nicht umsonst trugen Baustellen »Betreten verboten«-Schilder.
    Im letzten Moment riss Lázlo sich los, gab Imre noch einen letzten Schubs und keuchte: »Holló a hollónak nem vájja ki a szemét«. Ein Rabe hackt dem anderen die Augen nicht aus.
    Imre Rutschek, Holló, der Rabe, kippte über den Brückenrand.
    »Nicht alle Sprichwörter bewahrheiten sich, alter Mann.«
    Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete Lázlo sich auf und taumelte bis zur Brüstung. Wäre fast auf die Hand getreten, mit der Imre sich am Stahl festkrallte.
    »Und nun, junger Mann?«, brüllte Imre zu ihm herauf. »Willst du mich sterben lassen? Willst du das?«
    Unter ihnen rauschte die Donau. Tief, o ja, tief genug. Doch Lázlo zögerte. Er war müde und all dieser Gewalt überdrüssig. Er wollte nicht mehr.
    Lázlo kniete sich hin, suchte sicheren Stand und rief Imre zu: »Gib mir deine Hand! Ich ziehe dich rauf.« Im Dämmerlicht sah er, wie Imres Gesicht unter ihm aufleuchtete. Die heilige Krone Stephans I. war von seinem Kopf verschwunden. Immer noch hielt er sich nur mit einer Hand am Brückengeländer fest und hing wie das Opfer einer Spinne über dem Abgrund. »Deine andere Hand!«, rief Lázlo ungeduldig. »Nun mach schon!«
    In diesem Moment hörte Lázlo einen schrillen Schrei. Nur einem Menschen würde er später erzählen, was er sah und was er hörte. Der Schrei gellte in seinen Ohren, hoch und mächtig. Lázlo sah einen Vogel aus der untergehenden Sonne herabstürzen, eine Mischung aus Adler und Geier und Schwan, er sah, wie sich ein Sagentier auf Imre Rutschek stürzte und mit mächtigen Flügeln schlug. Lázlo sah, wie der Turul seinen Hals streckte, er sah, wie die Hand abrutschte, Imres Hand, hörte ein gebrülltes Wort und streckte automatisch seine Arme aus.
    »Fang«, hatte Imre gerufen. Und mit letzter Kraft die goldene Stephanskrone nach oben geschleudert.
    Lázlo fing sie wie von selbst.

21
    Sonntag, 21. August
    10.06 Uhr, Pension Liszt, V. Bezirk
    Lena streckte sich, gähnte und atmete tief, hielt ihre Augen aber noch geschlossen. Stattdessen tastete sie vorsichtig mit den Händen neben sich, spürte nackte Haut und Wärme und langsamen, ruhigen Atem. Erst dann blinzelte sie. Kuschelte sich an Lázlo, drückte ihre Brüste an seinen Rücken. Er seufzte, aber rührte sich nicht. Schlief weiter.
    Auch Lena war noch erschöpft bis in die Knochen. Außerdem pochte ihr Bein scheußlich – 5 Stiche waren beim Nähen notwendig gewesen. Stunden hatten sie im Polizeipräsidium zugebracht und diesem Kommissar dabei geholfen, die Scherben zusammenzusetzen. Erst kurz vor Mitternacht waren ihre Eltern aus Wien hereingeplatzt, hatten kategorisch alle weiteren Vernehmungen auf den nächsten Tag verschoben und Lena in die Pension Liszt verfrachtet. Lázlo praktischerweise gleich mit. Natürlich komplimentierten sie ihn nach viel zu kurzer Zeit wieder hinaus, immerhin war ihre Tochter schwer verletzt und sie kannten den jungen Mann ja auch gar nicht. Aber Lena hatte nicht allzu lange auf das fragende, leise Klopfen an ihrer Zimmertür warten müssen.
    Sie lächelte. Heute versprach ein guter Tag zu werden.
    12.16 Uhr, Szent-Kodály-Krankenhaus
    »Mann, so viele Blumen habe ich noch nie bekommen«, sagte Frosch und strahlte. Lena auch, denn natürlich hatten sie die alle bei Éva gekauft.
    »Du hast die ganze Zeit recht gehabt«, sagte Lázlo bedrückt, »und ich habe dir nicht geglaubt.«
    »Doch. Hast du. Zumindest früh genug.«
    Lázlo nickte. »Trotzdem. Wenn du nicht gewesen wärst …«
    Aber Frosch winkte ab. »Früher oder später wärst du auch ohne mich aufgewacht, glaub mir!«
    »Ich weiß nicht«, grübelte Lázlo.
    »Ich schon.«
    »Ich auch«, mischte sich Lena ein. »Zwei zu eins, du bist überstimmt.«
    »Was ist … mit Holló?«, fragte Frosch jetzt sehr leise.
    Lázlo zuckte mit den Achseln.
    »Also mir«, sagte Lena, »tut er trotz allem leid.«
    »Was?«, riefen Lázlo und Frosch
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