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Blutrote Sehnsucht

Blutrote Sehnsucht

Titel: Blutrote Sehnsucht
Autoren: Susan Squires
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gewesen, und ihr Vater hatte vor lauter Reue und Schuldbewusstsein einen Entschluss gefasst, der einem Selbstmord gleichkam. Er hatte sich freiwillig für Wellingtons Vorhut in Salamanca gemeldet – was zwar definitiv ein selbst auferlegtes Todesurteil war, ihm aber trotzdem ermöglichte, in geheiligtem Boden bestattet zu werden.
    Nein, Ann würde ganz bestimmt nicht heiraten. Sie würde nie im Leben einen Mann anfassen, wenn sie es verhindern konnte. Und die Dorfbewohner irrten sich. Sie wollte ihre Geheimnisse gar nicht wissen. Und auch ihr Onkel hatte unrecht. Es gab nichts, was Erich van Helsing tun konnte, um sie zu »versorgen«.
    Konnte sie nicht einfach weiter hier mit ihrem Onkel leben? Eine leise innere Stimme sagte ihr, es sei nicht fair ihm gegenüber, dass er sich hier aufhalten musste und nicht in seinem eigenen Zuhause sein konnte. Aber es war ja nicht so, als hätte er Familie dort. Er war Junggeselle geblieben, weil er nicht hatte riskieren wollen, ein weibliches, mit dem Familienfluch gestraftes Kind wie sie zu zeugen.
    Ann verzog das Gesicht. Es war nicht zu vermeiden, dass sie eines Tages allein und ohne Freunde dastehen würde.
    Seufzend zog sie das Kleid aus, das sie so geändert hatte, dass es sich vorne schließen ließ. Sie hatte nur vier Kleider, die alt genug waren, um bequem zu sein. Es war zu aufreibend, sich an ein neues zu gewöhnen, weil die Erlebnisse des Webers, der Näherin und der Verkäuferin sie immer wieder bestürmen würden, bis das Kleid eine Zeit lang getragen war und sie verblassten. Ann öffnete die Bändchen des kleinen Korsetts, das sie ebenfalls abgeändert hatte, um sich ohne Hilfe einer Zofe entkleiden zu können, und streifte ein altes Leinennachthemd über. Der inzwischen weich gewordene Stoff schmiegte sich an ihren Körper, als sie unter die Steppdecke kroch, die Malmsy für sie genäht hatte. Heute Nacht würde sie einmal nicht an ihre Zukunft denken.
    Sie hoffte nur, nicht wieder von Träumen heimgesucht zu werden.
    London,
März 1822
    Ein halbes Dutzend Zeitungen auf dem Tisch vor sich, saß Stephan Sincai allein im Café des Hotels Claridge , als die Sonne unterging. Die anderen Hotelgäste befanden sich im Restaurant, aus dem er das Klirren von Porzellan und Gläsern und Stimmengewirr hören konnte. Stephans mürrisches Gesicht pflegte die angeregten Gespräche dort zum Verstummen zu bringen. Oder vielleicht waren es auch die elektrisierenden Schwingungen in der Luft, die jemanden seiner Gattung stets begleiteten. Menschen spürten diese Energie. Das Café, das abends verlassen war, war seinen Zwecken sehr viel dienlicher. Bei Tageslicht boten ihm die Fenster einen guten Ausblick auf die Ecke Brook Street und Davies Street, doch jetzt war in dem dunklen Glas nur sein eigenes Spiegelbild zu sehen. Es hatte sich seit ... Ewigkeiten nicht verändert: schwarze Augen, schwarzes Haar, das ihm in leichten Wellen bis auf die Schultern fiel, hohe Wangenknochen und ein sinnlicher Mund mit vollen Lippen, die von tiefen Linien umgeben waren.
    Drei Tage waren seit dem Mord in der Whitehall Lane vergangen. Die Londoner Zeitungen berichteten immer noch ganz groß darüber. Die Polizei war ratlos, was den Täter anging. »Als hätte er sich in Luft aufgelöst«, hieß es allerorts.
    Und genau so war es auch.
    Das würden die englischen Behörden jedoch nie erraten. Was wussten sie schon von den Fähigkeiten, die der Parasit in seinem Blut, sein Gefährte , ihm verlieh? Stephan sah aus wie jeder andere Mann. So wie auch der Schatzkanzler wie jeder andere Staatsdiener ausgesehen hatte. Aber der Schein trog. Sie waren Vampire. Stephan war schon so geboren worden, der Schatzkanzler jedoch war von diesem Abtrünnigen Kilkenny zu einem Vampir gemacht worden. Und das war Stephans Schuld. Er starrte auf das Gesicht, das sich in dem dunklen Glas des Fensters widerspiegelte. Er hatte den Schatzkanzler ermordet, weil es seine Aufgabe war zu bereinigen, was er auf die Welt losgelassen hatte, und den Bund der in Vampire verwandelten Menschen auszurotten, die die englische Regierung zu übernehmen drohten. Stephan hatte der Kreatur den Kopf abgerissen und dann die Macht des Gefährten herbeigerufen, um sich in Luft aufzulösen, wie es nur seine Spezies konnte.
    Niemand würde es je erfahren. Die Fähigkeiten seines Gefährten gingen über ihr Vorstellungsvermögen hinaus. Er war der wahre Vampir. Er verlangte, dass seine Gattung Menschenblut trank, und wenn der Hunger sie packte, konnten
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