Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutrote Sehnsucht

Blutrote Sehnsucht

Titel: Blutrote Sehnsucht
Autoren: Susan Squires
Vom Netzwerk:
aus der Leihbücherei in Wells oder von Meyler’s in Bath holen. Sie schreibt sogar Briefe an die Herausgeber in London. Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich für all die Postsendungen bezahle! Der arme Bote kann die Pakete kaum zur Tür hinaufschleppen.«
    »So ein Blaustrumpf ist meine Cousine?«
    Ann hätte Van Helsing ohrfeigen können für das herablassende Grinsen, das er ihr schenkte. »Blaustrumpf? Das ist eine Bezeichnung, die sich Männer ohne Selbstbewusstsein ausgedacht haben, um gebildete Frauen zu verunglimpfen«, versetzte sie. »Aber auf Sie trifft das doch gewiss nicht zu, Mr. van Helsing«, fügte sie in zuckersüßem Ton hinzu.
    Ihren Onkel konnte sie jedoch nicht täuschen. »Ärgere deinen Cousin nicht, Ann. Van Helsing ...«
    »Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche, Sir, doch nennen Sie mich bitte Erich. Beide. Wir sind schließlich Verwandte.« Erich hatte schon wieder dieses schmierige Grinsen im Gesicht.
    Ihr Onkel lächelte, als bemerkte er nicht, wie unaufrichtig und anbiedernd dieses Angebot war. »Nun gut, Erich, dann verraten Sie mir, woher Sie diesen prachtvollen Fuchs haben, den Sie reiten.«
    Sag nichts mehr, befahl sich Ann, als die Männer sich über Pferde unterhielten. Du bist schon unhöflich genug gewesen. Sie behielt sogar ihre Meinung über Van Helsings prächtigen Fuchs für sich. Ann wäre jede Wette eingegangen, dass diese Kröte hinter Alice her gewesen war. Zum Glück beschäftigte ihr Onkel ihn während des Essens, und auch danach lud er ihn ein, sich mit ihm auf ein Glas Portwein und etwas von dem guten einheimischen Käse in die Bibliothek zurückzuziehen.
    »Warum kommst du nicht in einer halben Stunde nach, Liebes?«, sagte er zu Ann, als er sich vom Tisch erhob. Zu ihrer Besorgnis schwankte er ein bisschen.
    »Dein Gehstock, Onkel Thaddeus«, flüsterte sie, weil sie ihm den Stock weder anreichen noch seinen Arm nehmen konnte, um ihn zu stützen.
    »Ja, ja. Du machst dir zu viele Gedanken, meine Liebe.« Aber er griff nach dem Stock.
    In einer schmeichlerischen Weise nahm Van Helsing seinen Arm. Er sieht wie ein fetter Geier aus, dachte Ann. »Lassen Sie mich Ihnen helfen, Sir.«
    Und dann waren sie fort, und Ann ließ sich auf ihren Stuhl zurücksinken. Sie musste wirklich ein ernstes Wort mit ihrem Onkel reden. Verwandt oder nicht, »Erich« war schlichtweg unerträglich. Aber würde ihr Onkel ihn noch vor die Tür setzen, nachdem er ihn schon eingeladen hatte? Wahrscheinlich nicht. Das hieß, sie hatten ihn am Hals. Was, wenn er tatsächlich Alice nachstieg? Die junge Frau war weiß Gott keine Heilige. Mrs. Simpson machte sich schon Sorgen, dass sie mit dem jungen Hausburschen aus dem Hammer und Amboss im Dorf poussierte. Aber Ann gefiel der Blick nicht, den die Küchenhilfe Van Helsing zugeworfen hatte. Sie musste einen Weg finden, Alice wenigstens vor ihm zu schützen.
    Polsham brachte ihr Tee. Sie zwang sich, Ruhe zu bewahren, und strich ihr Kleid über dem Schoß glatt. Es war ihr bestes. Ihr Onkel hatte darauf bestanden, dass sie es heute trug. Im Grunde liebte sie es, sich fein zu kleiden, und hätte gern hundert Kleider besessen, alle nach der neuesten Mode, wenn es ihr möglich gewesen wäre. Dieses hier hatte die weiten Ärmel und die etwas tiefer angesetzte Taille, die vor einigen Jahren modern gewesen waren. Es war aus dem Stoff eines Kleides gefertigt, das sie schon mit siebzehn getragen hatte. Aber das silberne Kunstseidengewebe brachte ihre Augen und ihren makellosen Teint perfekt zur Geltung, und sie trug dazu die Perlen, die ihr Vater ihr vor seinem Tod vor fast zehn Jahren geschenkt hatte.
    Ann lächelte im Stillen, als sie die Perlen berührte. Alle dachten, sie sei nie gereist. Aber sie kannte das Schmuckgeschäft in Amsterdam, in dem die Perlen aufgezogen worden waren, und das aquamarinblaue Wasser, in dem ein braunhäutiger, nackter Junge nach ihnen getaucht war.
    Sie riss sich von ihren Träumereien los, als die große Standuhr in der Ecke zweimal schlug. Die halbe Stunde war vorüber, es wurde Zeit, sich in die Löwengrube zu begeben oder, in diesem Fall, in die Bibliothek. Polsham und seine Gehilfen begannen, den Tisch abzuräumen, noch bevor sich die Tür des Speisesaales hinter ihr geschlossen hatte.
    Die Eingangstür zur Bibliothek war offen. Ann blieb stehen, als sie Van Helsings Stimme hörte. Ihr Onkel, der neuerdings leicht fror, saß mit dem Rücken zur Tür am Kamin. Van Helsing konnte sie nicht sehen. »Ich werde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher