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Blutrot

Titel: Blutrot
Autoren: Jack Ketchum
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sie dem Jungen hin. Dieser lachte unverdrossen weiter, aber es klang nicht fröhlich, sondern boshaft.
    Als würde das Lachen ihn zu etwas hinführen.
    Dem alten Mann fiel auf, dass der Junge für sein Alter überraschend viele Falten hatte, dass sein Gürtel aus gutem Leder bestand und seine Jeans keine Levis war, sondern von irgendeiner Designermarke. Die anderen Jungen trugen die gleichen Hosen.

    Sie brauchten das Geld nicht. Sie wollten es ihm bloß einfach wegnehmen.
    Na schön, sollten sie es doch haben.
    Er hoffte nur, dass es alles war, wonach ihnen der Sinn stand.
    »Hier«, sagte er und wies auf die Wagenschlüssel in seiner Hand. »Der Kleinste ist für das Handschuhfach. Die Brieftasche liegt drin.«
    Nimm sie und verschwinde, dachte er.
    Noch immer grinsend, schüttelte der Junge den Kopf.
    »Du hast also einen zerbeulten alten Pick-up, eine Brieftasche mit zwanzig Dollar drin und eine Angelausrüstung, die einen Scheiß wert ist. Dazu zwei Fische und einen verdammten Hund. Was, zum Teufel, besitzt du eigentlich, Alter?«
    Er antwortete nicht. Darauf gab es einfach keine Antwort. Und der Junge wollte auch gar keine hören.
    »Einen Scheißdreck besitzt du!«
    Es bestand immerhin die Chance, dass der Junge nicht schießen würde, falls er auf ihn zuginge und versuchte, ihm die Waffe abzunehmen. Aber er schätzte diese Chance nicht sehr hoch ein. Denn in der Stimme lag eine Gleichgültigkeit, die ihm von Anfang an missfallen hatte, die sich inzwischen aber in Eiseskälte verwandelt hatte. Er schaute zu dem dicken Jungen und sah, dass dessen leeres dümmliches Grinsen ihm keine Hilfe sein würde. Als er zu dem Jüngsten im gelben T-Shirt blickte, merkte
er, dass dieser vor lauter Angst verstummt war. Auch das würde ihm wenig nützen.
    Auch wenn die Angst des Jungen womöglich dessen Lüge über die Angelausrüstung erklärte.
    Er hörte das Wasser hinter sich und den Wind in den Bäumen.
    Er hielt die Schlüssel ausgestreckt.
    Er wartete. Niemand rührte sich.
    In dem Jungen arbeitete es. Etwas baute sich auf. Ob dies ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, konnte der alte Mann nicht deuten.
    Du könntest hier und heute sterben, dachte er. Bist du bereit dafür?
    Auch darauf hatte er keine Antwort.
    »Wie heißt er eigentlich?«, fragte der Junge.
    »Wer?«
    »Der Hund. Wie heißt er?«
    Für den alten Mann war es immer nur der Hund gewesen. Auf einen Pfiff hin stand das Tier bei Fuß und gehorchte seinen Händen, einem Klatschen, einem Wink oder einem Fingerschnippen. Wahrscheinlich hatte er seit Monaten keinen Grund gehabt, den Namen des Hundes zu benutzen. Aber natürlich hatten er und Mary ihm als Welpen einen gegeben, etwas Einfaches wegen seiner Farbe.
    »Red«, sagte er.
    Der Junge starrte ihn ernst an, nickte beinahe teilnahmsvoll. Für einen Augenblick schien die kalte Bosheit in seinen Augen ins Wanken zu geraten.

    »Das ist gut«, sagte er leise. »Das ist richtig gut. Red.«
    Der Junge holte tief Luft und stieß sie wieder aus. Plötzlich wirkte er ganz ruhig. Der alte Mann dachte schon, der Sturm hätte sich vielleicht verzogen - obwohl er nicht verstand, wie dies allein die Nennung des Namens verursacht haben sollte. Aber dann fuhr der Junge auf einmal herum, der Hund sprang auf - um so vieles langsamer, als er es noch vor einem Jahr getan hätte -, denn er spürte etwas, das jenseits der ausgestreckten Hand seines Besitzers oder dessen Macht über die Ereignisse lag. Der Junge ging einen Schritt auf ihn zu, das Krachen der Schrotflinte zerriss die idyllische Stille des Waldes, des Flusses und des sonnigen Junitages. Es verwüstete den Frieden, der das Leben des alten Mannes bis dahin erfüllt hatte. Man hörte nicht einmal ein Bellen oder Winseln, denn die obere Schädelhälfte des Hundes war verschwunden. Die aufmerksamen braunen Augen, die Nase mit den vernarbten Katzenbissen, alles war verschwunden, war in einem blutigen Sprühregen aus vertrautem Fleisch ins Gebüsch gespritzt. Plötzlich war das bloße Aussehen des Hundes nur noch Erinnerung.
    Fassungslos stand der alte Mann da.
    Warum?, fragte er sich. Mein Gott, warum?
    Die Beine des Hundes zuckten.
    »Red!«, brüllte der Junge feixend. »Red!«
    Schon war der Gewehrlauf wieder auf ihn gerichtet. Der Junge ist schnell, dachte der alte Mann.

    Das war etwas, das er sich merken musste.
    »Jetzt ist er wirklich rot, der gute Red! Knallrot!«, rief der Junge und lachte höhnisch.
    Es war ein blutberauschtes, stumpfes, einfältiges
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