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Blutrot wie die Wahrheit

Blutrot wie die Wahrheit

Titel: Blutrot wie die Wahrheit
Autoren: P.B. RYAN
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während er den Eintrag überflog:
    21. Nov. 1868
    Eine halbe Stunde habe ich gebraucht, um Orville heute Nachmittag in mein rosa Korsett zu schnüren – das neue mit dem schwarzen Spitzenbesatz. Hinten am Rücken klaffte es zwei Handbreit auf, und von vorn war der Anblick natürlich noch lächerlicher, aber das kümmerte ihn nicht. Er fand sich wunderschön. Seine Selbsttäuschung würde jämmerlich anmuten, wäre er dabei nicht so arrogant. Jämmerlich ist es aber trotzdem, verdammt noch mal! Und wenn er dann auch noch die Strümpfe angezogen und den Schmuck angelegt hat und geschminkt ist, muss ich mich jedes Mal sehr zusammenreißen, um nicht lauthals loszulachen.
    Es ihm dann noch zu besorgen, wenn er sich so herausgeputzt hat, verlangt wirklich all meine Selbstbeherrschung. Ich schließe jedes Mal die Augen und stelle mir vor, ich wäre anderswo, mit einem anderen Mann – jemandem, der zumindest etwas Leidenschaft in mir zu wecken vermag. Beispielsweise der leider eher einfältige Adonis, der den Eiswagen fährt, oder Tommy Kimball oben auf dem Heuboden, wo er mir die Jungfräulichkeit nahm und mich anbettelte, ich möge ihn heiraten, oder Doc, mein treuer Verehrer, wie er mich jedes Mal mit feuriger Leidenschaft und köstlicher Zärtlichkeit liebt … denn nichts geht über die Vorzüge eines Liebhabers, dessen man sich stets nur in Gedanken erfreut hat …
    Mit düsterem Blick schloss Will das Buch.
    â€žIch habe da gerade den Namen meines Vaters gesehen“, meinte Emily. „Dürfte ich es auch mal lesen?“
    Will sah Nell an, die kaum merklich den Kopf schüttelte. „Dadurch wäre wahrlich nichts gewonnen, Miss Pratt“, sagte er. „Es genügt vollauf zu wissen, dass Mrs. Kimball reichlich Munition hatte, um ihn zu erpressen.“
    â€žUnd nicht nur Ihren Vater“, fügte Nell hinzu. Auf dem Schreibtisch lag eine Liste mit den Namen etlicher Männer, neben jedem standen ein Datum und einige hastig hingekritzelte Bemerkungen. „Dein Name steht auch darauf, Will, und Ihrer auch, Dr. Foster, und der von Mr. Pratt natürlich, und … oh je. Das müssen allesamt Männer sein, über die Mrs. Kimball im Roten Buch geschrieben hat – doch es ist gar nicht ihre Handschrift, wie mir scheint.“
    Emily, die Nell über die Schulter geschaut hatte, meinte: „Nein, das ist Tante Veras Schrift. Sie muss das ganze Buch gelesen und sich Notizen gemacht haben.“
    â€žHören Sie sich das an.“ Foster, der die Papiere auf Veras Schreibtisch gesichtet hatte, zeigte ihnen einen Brief, der auf den heutigen Tag datiert war. „Der ist an Helena Blavatsky. ‚Meine verehrte Lehrerin, Priesterin und Herzensfreundin‘“, las er vor. „‚Bald, sehr bald schon, wird es mir endlich möglich sein, Ihnen wieder auf Ihrer Reise zu folgen – womit ich selbstverständlich nicht nur Ihre Reisen um die Welt meine, sondern auch Ihre Aufbrüche in die Welt des Geistes und der Seele. Die materiellen Hemmnisse, die mich bislang davon abhielten, werden bald überwunden sein. Und es wird Sie ganz besonders freuen zu erfahren, dass ich Fortschritte mache in meinem Bestreben, eine entschwundene Seele zurück in die irdische Dimension zu holen. Die Ereignisse der letzten Zeit scheinen meine Fähigkeiten auf diesem Gebiet einem Punkt zugeführt zu haben, an dem ich nun spüre, mich an der Schwelle einer erlösenden Aufnahme zu befinden, die der nicht unähnlich ist, die auch Sie erfahren haben.‘“ Foster überflog den Rest des Briefes. „Und so weiter und so fort. Da steht zwar noch einiges mehr, doch das will ich uns dann lieber ersparen, geht es im Prinzip doch in diesem Stil weiter.“
    â€žVera war fleißig“, stellte Nell fest und nahm ein Blatt zur Hand, auf dem oben mit roter Tinte Mrs. Virginia Kimball eingeprägt war. Es war zu einem Brief gefaltet und mit Wachs versiegelt gewesen. „Ein Erpressungsschreiben von Mrs. Kimball an Mr. Pratt, datiert auf den 25. März. Ich vermute mal, dass Vera es aus dem Arbeitszimmer ihres Bruders entwendet hat. Wahrscheinlich hat sie es als Vorlage genommen, um Mrs. Kimballs Handschrift zu üben.“ Nell deutete auf einige Blätter, auf denen Vera immer wieder und wieder Mrs. Kimballs Unterschrift geübt und einzelne Passagen aus dem Erpresserbrief abgeschrieben
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