Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutmale

Blutmale

Titel: Blutmale
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
gewesen. Das waren die Tage, die sie im Ge dächtnis bewahren wollte, die Erinnerungen, die ihr für immer bleiben würden.
    Alles andere, alles, was seither passiert ist, werde ich den Flammen übergeben.
    »Sind Sie sich auch ganz sicher, Ms. Saul?«, fragte der Feuerwehrhauptmann.
    Seine Mannschaft stand in voller Montur bereit und wartete nur auf seinen Befehl. Ein Stück weiter unten am Hang hatte sich eine kleine Schar von Schaulustigen aus dem Ort versammelt. Aber es waren Anthony Sansone und Gottfried Baum, denen Lilys Augenmerk galt. Sie vertraute ihnen, und nun standen sie hier mit ihr, um mit anzusehen, wie sie ihre Dämonen austrieb.
    Sie wandte sich wieder zum Haus um. Die Möbel waren alle ausgeräumt und der örtlichen Wohlfahrt gespendet worden. Bis auf die Strohballen, die die Feuerwehrleute in einem der Schlafzimmer im Obergeschoss gestapelt hatten, war das Haus vor ihr nur noch eine leere Hülse.
    »Ms. Saul?«, wiederholte der Feuerwehrhauptmann.
    »Verbrennen Sie es«, sagte sie.
    Er gab das Signal, und seine Mannschaft rückte an, mit ihren Schläuchen und den Kanistern, die eine Mischung aus Kerosin und Diesel enthielten. Es kam nicht oft vor, dass ein so großes Haus für eine Feuerwehrübung geopfert wurde, und die Männer machten sich mit Begeisterung an ihre Aufgabe. Offenbar konnten sie es kaum erwarten, das Feuer zu entfachen. Zu Übungszwecken würden sie es zunächst löschen, um es dann wieder anzuzünden, und so fort, bis es Zeit war, die Flammen endgültig triumphieren zu lassen.
    Als der schwarze Rauch in den Himmel aufwirbelte, trat Lily ein Stück zurück und stellte sich zwischen die zwei Männer, die sie inzwischen als Mentoren, ja Vaterfiguren betrachtete. Sansone und Baum sagten nichts, doch Lily hörte, wie Baum scharf die Luft einsog, als die ersten Flammen aus einem der oberen Fenster schlugen, und sie spürte, wie Sansone ihr beruhigend die Hand auf die Schulter legte. Doch sie brauchte keine Stütze; sie stand kerzengerade da, den Blick unverwandt auf das Feuer gerichtet. Drinnen verzehrten die Flammen jetzt die Dielen, die noch mit Peter Sauls Blut getränkt waren, und züngelten an Wänden empor, die mit satanischen Kreuzen beschmiert worden waren. Solch ein Ort durfte nicht weiter bestehen. Von solchem Übel kann ein Haus niemals reingewaschen werden, es muss zerstört werden.
    Jetzt zogen sich die Feuerwehrleute vom Haus zurück, um zuzusehen, wie der Brand ungehindert wütete. Die Flam men prasselten im Dachstuhl, und zischend verdampfte der schmel zende Schnee. Orangefarbene Tentakel reckten sich durch Fenster und tasteten sich an den pulvertrockenen Schindeln empor. Die Hitze trieb die Feuerwehrleute weiter zurück, während die Flammen gierig wüteten, wie ein Ungetüm, das seinen Triumph hinausbrüllt.
    Lily blickte ins Herz dieses Feuers, das nun die letzten Überreste ihrer Kindheit verschlang, und sah, umrahmt vom Schein der Flammen, eine Szene aus der Vergangenheit, einen Augenblick, herausgehoben aus der Zeit. Ein Sommerabend. Ihre Mutter und ihr Vater stehen mit Teddy auf der Veranda und sehen ihr zu, wie sie über den Rasen tollt und dabei ein Schmetterlingsnetz schwenkt. Und Glühwürmchen - so viele Glühwürmchen, wie funkelnde Sterne in der Nacht. »Schau mal, deine Schwester hat noch eins gefangen!«, sagt ihre Mutter, und Teddy lacht und hält das Glas hoch, um die Beute in Empfang zu nehmen. Sie lächeln ihr zu, über die Kluft der Jahre hinweg, von einem Ort, dem kein Feuer je etwas anhaben kann, weil er geborgen in ihrem eigenen Herzen ruht.
    Und jetzt stürzte das Dach ein, Funken stoben in den Himmel auf. Lily hörte das »Ooh« der Zuschauer, im Bann des pri mitiven Zaubers, den ein Winterfeuer seit jeher ausübt. Als die Flammen allmählich erstarben, begannen die Schaulustigen aus dem Ort, den Hang zu räumen und gingen zu ihren Autos zurück. Der aufregende Höhepunkt ihres Tages war vorüber. Lily blieb mit ihren beiden Freunden zurück und sah zu, wie die letzten Flammen gelöscht wurden und der Rauch aus der schwarzen Asche aufstieg. Wenn der Schutt abtransportiert wäre, würde sie hier Bäume pflanzen. Blühende Kirschen und Holzäpfel. Aber auf diesem Hügel wird nie wieder ein Haus stehen.
    Etwas Kaltes berührte leicht ihre Nase, und als sie aufblickte, sah sie dicke Flocken vom Himmel herabsinken. Es war, als spende der reine weiße Schnee den letzten Segen.
    »Können wir gehen, Lily?«, fragte Baum.
    »Ja.« Sie lächelte. »Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher