Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutlust

Blutlust

Titel: Blutlust
Autoren: Riccarda Blake
Vom Netzwerk:
mehr auf der Straße, und um mich herum war es totenstill. Selbst vom Hafen her war kein Schiff mehr zu hören. Aber von irgendwoher heulte plötzlich ein Hund. Es jagte mir die Gänsehaut über den Leib.
    Wenn ich jetzt irgendetwas nicht wollte, dann war es alleine sein. Ich brauchte Helligkeit und die Nähe ganz normaler Menschen. Zeit, in mein Apartment zu fahren und für die Heimreise zu packen, war auch noch nach Sonnenaufgang genug. Ich schaute mich um. Der Chipotle Mexican Grill und Phil’s Pizza hatten geschlossen, aber wenigstens bei McDonald’s brannte noch Licht, also steuerte ich darauf zu.
    Ich strich mir noch schnell mit den Fingern die Haare glatt, um nicht zu abgerissen auszusehen, und ging hinein. Zugegeben, ich bewegte mich noch ein wenig wie in Trance. Aber genau so fühlte ich mich auch. Der Duft von frittierten Kartoffeln und geschmolzenem Käse schlug mir entgegen, und erst jetzt merkte ich, dass ich Hunger hatte. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte.
    Nicht ein einziger Tisch war besetzt. Hinter dem Tresen lungerte ein Mann mittleren Alters und schaute mürrisch von dem Comic auf, den er gerade las. Als er mich sah, wurde sein Blick freundlicher, und er lächelte.
    Männer!
    »Guten Morgen«, sagte er. »Was kann ich für Sie tun?«
    Es tat erstaunlich gut, diese abgedroschene Verkaufsschulungsfrage zu hören.
    Was kann ich für Sie tun? Ein Stück banaler Normalität inmitten all des Düsteren, das geschehen war. Ein Anker in einem Meer schwarzer und blutiger Phantasien. Diese so oft gestellte Frage jetzt zu hören fühlte sich an wie die Chance auf die Rückkehr in die Realität. Mir wurde bewusst, wie groß und ausgeprägt der Wunsch in mir war, diese Chance zu nutzen.
    Ich bestellte einen Cheeseburger und eine kleine Coke ohne Eis.

Epilog
    St. Michaels, Devils Lake, North Dakota.
    Ich ging alleine am Ufer des Sees spazieren und betrachtete über die sich im Nachtwind wiegenden Baumwipfel auf der gegenüberliegenden Seite hinweg den fast vollen Mond und die Sterne, die hier so viel heller leuchteten als in New York.
    Ein Käuzchen schrie, aber ansonsten war es so still, dass ich sogar die um mich herumschwirrenden Fledermäuse fiepen hören konnte. Man behauptet oft, man kann Fledermäuse nicht hören, aber das stimmt nicht. Ich kann. Konnte ich schon immer. Allerdings hörte ich sie jetzt noch besser als früher. Sogar noch besser als in meiner letzten Nacht im Washington Square Park. Vermutlich hatte der alltägliche Lärm in der Großstadt mein ohnehin gutes Gehör noch geschärft, statt ihm zu schaden. Mit all meinen anderen Sinnen ging mir das ähnlich: Ich konnte besser riechen und schmecken als früher und auch besser sehen – besonders nachts.
    Das Wasser des Sees war spiegelglatt, und ich wurde unwillkürlich an die Geschichte erinnert, die Jane mir kurz vor ihrem Tod erzählt hatte. Die Geschichte, wegen der sie zur Vampirjägerin geworden war. Von dem Campingausflug mit ihrer Familie vor so vielen Jahren, an den zugefrorenen Cut Foot Sioux Lake im Chippewa National Forest . Von Chetáh Wakhúwa Máni , ›dem Falken, der das Große Biest jagt‹.
    Wirklich erstaunlich, was diese Freaks sich alles ausgedacht hatten, um ihren Wahnsinn leben zu können. Und wie eisern sie geglaubt hatten an ihre selbstgebauten Luftschlösser, mit denen sie ihre perversen Spiele und Neigungen untermauert hatten.
    Carla, die angeblich fast fünfhundert Jahre alt gewesen und mit der Mayflower nach Amerika gekommen war.
    Max’ Geschichte vom Überfall der Mongolen auf das ungarische Buda im Jahr 1241 und den Vampir-Söldner Grigori, der ihn aufgezogen und dann zu einem der ihren gemacht hat.
    Beinahe vier Wochen war ich nun schon wieder zu Hause bei meiner Mutter, und die Erinnerungen an die wahnwitzigen Ereignisse um Max, Carla, Sandra, Jane und das ›Kitty‹ verblassten zum Glück allmählich mehr und mehr – wie Tinte auf einem uralten Pergament, das in der Sonne liegt. Ich war froh darüber, wusste ich doch immer noch nicht, was davon wirkliche Erinnerungen waren und was nur Halluzinationen.
    Natürlich hatte ich mich nicht in einen Upìr verwandelt – und inzwischen lag ich auch nachts nicht mehr wach, voller Angst, es würde doch noch passieren. Dafür träumte ich seither noch öfter von der uralten Lehmziegelpyramide im Herzen der Lichtung des smaragdfarbenen Urzeit-Dschungels. Von den mit Lianen bewachsenen Bäumen, den im Dunkeln leuchtenden Rindenpilzen, den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher