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Blutlied -1-

Blutlied -1-

Titel: Blutlied -1-
Autoren: Vanessa Farmer
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sagen!« Er grinste. „Möglicherweise sollte man ihr dennoch verpflichtet sein.«
    Soeben setzte sie zu einer Antwort an, als ein kühler Hauch über den Gang fuhr und die Gestalt verschwand, sich regelrecht in Luft auflöste. Caroline blieb zurück. Um sie herum Dunkelheit. Die Reflexe der Blendlaterne funkelten noch hinter ihren Augen. Sie wurde von einem Gefühl der Desorientierung erfasst. Dann gaben die Beine unter ihr nach. Sie sank stöhnend zu Boden und fing an zu zittern wie Espenlaub im Herbstwind.
     

     
    Frederic Densmore sah bei Tageslicht noch besser aus, als Caroline ihn in Erinnerung hatte. Sein verwegenes Gesicht, seine feurigen Augen, sein wohlgestalteter Körper und die elegante Kleidung wurden ihm gerecht.
    Aus der Kutsche stiegen vier Personen. Ein Schwarzer, zwei weiße Mädchen, eine ältere Frau. Diese übernahm sofort das Kommando und scheuchte die Bande ins Haus. Sie nickte Caroline freundlich zu und stapfte mit wackelnden Hüften hinter den Bediensteten her.
    »Sie heißt Wanda!«, grinste Frederic. »Sie müssen ihr verzeihen, Mrs Asbury. Sie ist unhöflich, aber sehr, sehr fähig. Mit ein paar Zurechtweisungen werden Sie ihr deutlich machen können, es Ihnen gegenüber nicht an dem nötigen Respekt mangeln zu lassen. Ich vermute, jetzt will sie erst mal ihre Leute in Trab setzen, damit Sie sich gleich am ersten Tag in einem sauberen Heim mit einer guten Küche heimisch fühlen können.«
    »Das haben Sie sehr nett gesagt, Mr Densmore.«
    Der Anwalt machte die Andeutung einer Verbeugung. Ihre Blicke trafen sich. Errötete der Mann? Caroline lächelte. Ja, so war es.
    »Ich würde mich freuen, wenn Sie mir die Stadt zeigen«, brach sie das Schweigen.
    »Sehr gerne, Mrs Asbury.«
    »Nennen Sie mich bitte Caroline«, entfuhr es ihr spontan.
    »Verzeihen Sie.« Nun runzelte er sie Stirn und lächelte. »Mein Name ist Frederic.«
    »Ein schöner Name. Er hat deutsche Wurzeln, nicht wahr? Kommt er von Friedrick?«
    »Ja, Caroline. Eine Mischung aus Fridu und Rihii. Der Friedensfürst.«
    »Friedensfürst …«, ließ Caroline die Worte nachhallen.
    Frederic reichte ihr den Arm und winkte dem Kutscher. »Bringen Sie uns in die City.«
    Eine Viertelstunde später flanierten sie über die Einkaufsmeile, die sich The Strand nannte.
    »Diese Straße ist die historische Verbindung zwischen der City of London und der City of Westminster«, erklärte Frederic. »Während des Mittelalters waren das noch getrennte Siedlungen. Dort hinten, wo die Fleet Street zu The Strand wird, verläuft die Temple Bar, die Grenze der City of London.«
    »So viele Menschen ...«
    »In Ihrem Heimatdorf gab es sicherlich mehr Ruhe und Frieden.«
    »Es war, wenn Sie gestatten, stinklangweilig.«
    Frederic lachte rau und männlich. »Langweilig ist London in der Tat nicht! Die Stadt hat derzeit fast fünf Millionen Einwohner ... und fast dreihunderttausend Pferde!«
    Sie sprangen einer Droschke aus dem Weg. Krachend folgte ihr ein wackeliger Karren, der von einem grauen hageren Gaul gezogen wurde. Der Kutscher schimpfte und war augenscheinlich sturzbetrunken.
    »Sie machen Witze. Dreihunderttausend?«
    »Aber ja, Caroline. Riechen Sie es etwa nicht?«
    In der Tat stank es erbärmlich nach tierischen Ausscheidungen.
    Frederic wies auf eine gegenüberliegende braungraue Häuserzeile. »Leider hat sich der Bevölkerungszuwachs nicht in Bautätigkeiten ausgewiesen. Es gibt nur wenige neue Häuser, aber viele, viele bitterarme Menschen, die in elenden Rattenlöchern hausen müssen. Manchmal mit zehn bis zwölf Personen in einem kleinen Zimmer.«
    Caroline versuchte, das brodelnde Leben um sich herum mit kritischen Augen zu sehen. Sie ließ sich jedoch noch von touristischer Begeisterung tragen. »Aber so düster, wie Dickens es beschrieb, ist es doch nicht mehr, oder?«
    »Nicht mehr ganz so schlimm. Wir haben inzwischen ein Abwassersystem und bessere Unterbringungsmöglichkeiten für Verwahrloste. Dennoch würde ich viele Gegenden der Stadt nach Einbruch der Dunkelheit nicht empfsehlen. Sie haben doch sicherlich von Jack the Ripper gehört?«
    »Wer hat das nicht ...?«, fragte Caroline. Sie zog fröstelnd die Schultern hoch und erinnerte sich an die Begegnung mit der seltsamen Gestalt heute Nacht in ihrem neuen Haus.
    Heute Morgen, im Licht des Tages, war ihr die Begegnung wie ein böser Traum erschienen. Was sie erlebt hatte, konnte, durfte nicht Realität sein. Eine hochgewachsene dunkle Gestalt in einer Kapuzenrobe, die
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