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Blutlied -1-

Blutlied -1-

Titel: Blutlied -1-
Autoren: Vanessa Farmer
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hatte den Mantelkragen in den Nacken gezogen und den Kopf zwischen den Schultern vergraben. Er klopfte seine Schuhe auf dem Abtreter aus und trat ein. »Ganz schön kalt geworden«, knurrte er und knöpfte den Mantel auf.
    Caroline nahm ihm das Kleidungsstück ab und hängte es auf.
    »Mmh! Wie das duftet.« Frederic schnüffelte wie ein Biber.
    »Schöpskeule nach Art meiner Mutter«, sagte Caroline.
    »Ist die Köchin noch da?«
    »Nein, das habe ich alleine zubereitet.«
    »Bravo«, bemerkte Frederic, ohne auch nur eine Sekunde lang spöttisch zu wirken. Es war nicht selbstverständlich, dass Damen der gehobenen Gesellschaft kochen konnten, auch wenn dies auf manchen Wirtschaftschulen vermittelt wurde. Größtenteils legte man mehr Wert darauf, den Probandinnen das Klöppel- und Stickhandwerk zu lehren. Der Hauptteil des Unterrichts bestand darin, zu lernen, wie man sein Hauspersonal kräftig herumschubste.
    »Vergessen Sie nicht – ich komme aus einem armen Elternhaus. Mein Vater fiel im Krieg, meine Mutter hatte kein Vermögen.«
    Sein Blick war dunkel. Sein Gesicht drückte Mitgefühl aus. Das machte Caroline für einen Moment verlegen. Was las er in ihr?
    »Meine Mutters Bruder«, fuhr sie fort. »also Onkel Albert, ließ uns kein Geld zukommen. Die kleine Pension meiner Mutter reichte gerade aus, um über die Runden zu kommen. Auch mein verstorbener Mann hinterließ mir nichts als Schulden. Erst Onkel Alberts Tod hat alles geändert. Nun könnte ich die Toreinfahrt mit Goldstücken pflastern.« Sie kicherte.
    Bald saßen sie am Tisch. Caroline füllte die Weingläser. Frederic kaute und murmelte: »Wunderbar – ganz wunderbar.«
    Sie hatten sich nicht an die Köpfe des langen Tisches gesetzt, wie es üblich war. Stattdessen saß Caroline vor Kopf und Frederic rechts von ihr über Eck. So konnten sie sich in die Augen schauen. Sie konnten sich spüren.
    Und das geschah.
    Sie sprachen nicht viel. War es Scheu, war es Zaudern? Was ging zwischen ihnen vor sich? Einmal, zweimal ertappte sich Caroline dabei, dass sie plapperte.
    Er grinste verlegen, stocherte in seinem Essen herum und fragte: »Darf ich meine Jacke ablegen? Das Kaminfeuer brät meinen Rücken …«
    »Aber selbstverständlich.« Caroline sprang auf, als wolle sie ihm – lieber Himmel – die Jacke von den Schultern reißen. Wie eine Dienstmagd! Sie verhielt sich wie ein kleines Mädchen.
    »Ich war einige Jahre in Indien«, versuchte Frederic Konversation, nachdem er sich wieder gesetzt hatte. »Die Malaria brachte mich fast um.«
    »Ach?«
    »Dann ging ich nach Südafrika. Ich diente im Zulukrieg. Wir Briten sorgten dafür, dass es keine Zulunation mehr gibt. Wir besiegten sie bei Ulundi. Ich war mit der ganzen Sache nicht einverstanden und habe mir dadurch eine Menge Feinde gemacht.«
    »Dann sind Sie ein unbequemer Mensch?«
    »Ich kann es sein ... wenn ich will, wenn ich an etwa glaube.« Wieder lächelte er verlegen, auf eine sehr männliche Art. Caroline ahnte, dass er viel zu erzählen hatte. Das sein Leben ihn nicht ohne Narben gelassen hatte. Und sie hoffte, alles noch zu erfahren.
    »Ich bin seit fünf Monaten und drei weitere Malariaanfälle später aus Afrika zurück und arbeite als Advokat, als Anwalt.«
    »Ich weiß.«
    »Selbstverständlich wissen Sie das.« Er räusperte sich. »Ich wurde Anwalt, weil ich Dickens’ Bücher liebe. Ich war achtzehnhundersiebzig in Westminster dabei, als man ihn zu Grabe trug.«
    »Oh, wie interessant.«
    »Man hat sich von einem der größten Dichter aller Zeiten verabschiedet. Er war es, der uns die kleine Nell schenkte und Ebenezer Scrooge.«
    »Auch ich liebe seine Bücher, Frederic!«
    »Dickens war als Schreiber bei einem Anwalt angestellt. Nur deshalb konnte er Dombey and Son schreiben. Dieses Buch habe ich mehrfach gelesen. Ich nahm mir vor, es eines Tages besser zu machen als seine Romanfiguren. Ich wollte dieses harzige, unflexible Rechtssystem verbessern!«
    Caroline wusste, dass sie Frederic nun fragen sollte, ob ihm sein Plan gelungen war, stattdessen sprudelte es aus ihr hervor: »Dombey ist eines der besten Bücher aller Zeiten, fast so gut wie Oliver Twist.«
    »Ja ...«
    Sie schwiegen verzückt.
    Caroline erhob sich und trug den Nachtisch auf.
    »Was halten Sie von Shakespeare?«, fragte Frederic, als Caroline sich wieder setzte.
    »Ich finde seine Sonette schön.«
    »Obwohl wir noch immer nicht wissen, wer die Dark Lady ist ...?!«
    »Ist das wichtig?«
    Frederic lächelte und
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