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Blutkirsche

Blutkirsche

Titel: Blutkirsche
Autoren: Gudrun Weitbrecht
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Besitzübertragung des Hauses gefunden. Dein Mann hat es für den Spottpreis von tausend Reichsmark von dem Kaufmann Silberbaum mitsamt den Möbeln gekauft. Es gibt eine Inventarliste, unter anderem sind der chinesische Schrank – Silberbaum machte Geschäfte mit einem Asienkontor – wie auch das Besteck, das ich im Garten unter dem Kirschbaum ausgegraben habe, dort aufgelistet.
    Beim Grundbuchamt werden alle Eigentümer eingetragen, selbst die aus dem Dritten Reich. Dieses Haus wurde im Januar 1944 auf Hans Wieland eingetragen und arisiert. Ich habe natürlich weiterrecherchiert. Die Silberbaums lebten in einer sogenannten Mischehe. Sie erlitten am Anfang nur Schikanen und Repressalien. Bis zuletzt hatten sie wohl geglaubt, sie blieben verschont und emigrierten deshalb auch nicht. Aber im Januar 1944 wurden Silberbaums mit ihren zwei kleinen Kinder vom Killesberg aus – da wo früher die Reichsgartenschau veranstaltet wurde und heute die schönste Dahlie gekürt wird – nach Theresienstadt deportiert. Gleichzeitig mit Juden aus Mischehen, deren Partner gestorben oder von denen sie geschieden waren. Die tausend Reichsmark, das Blutgeld von Hans, musste die Familie Silberbaum abgeben und durfte nur fünfzig davon mitnehmen. Ebenso wurde ihr ganzes Vermögen einbehalten, bis auf das Geld für ihre Fahrkarten in den Tod. Dafür mussten sie selbst aufkommen. Von Theresienstadt an verliert sich jede Spur.“
     
    Magda schwieg betroffen, dann platzte es aus ihr heraus: „Als ich deinen Vater im Mai ’44 heiratete, war Sieglinde schon über ein Jahr alt. Ich habe mich gefreut, dass mein Baby zwischen den Fliegerangriffen in einem Garten an die frische Luft konnte. Vor meiner Hochzeit mit deinem Vater habe ich mit Sieglinde in der Wohnung deiner Großeltern am Südheimer Platz gelebt. Es war zu eng, zu dunkel und in den Hinterhof kam kaum Sonne hinein. Wenn es irgendwie ging, habe ich deine Schwester in den Kinderwagen gepackt und bin mit der Seilbahn hoch nach Degerloch gefahren, um dort auf dem Waldfriedhof spazieren zu gehen. Damals konnte man die Seilbahn wirklich ‚Witwenexpress‘ nennen. Natürlich waren es keine lustigen Witwen, die hochfuhren, oft genug konnten die Frauen nur leere Särge beerdigen, weil die Überreste ihrer gefallenen Männer irgendwo in Russland oder Afrika verscharrt lagen. Aber meine |198| Ausflüge wurden immer gefährlicher, jederzeit konnten Bomben einschlagen, ich musste sie einstellen.
    Als wir hier einzogen, habe ich mich natürlich gewundert und nach den ehemaligen Hauseigentümern und der üppigen Ausstattung in den Räumen gefragt. Aber dein Vater ist mir über den Mund gefahren, das ginge mich nichts an. Ich soll froh darüber sein, so ein schönes Haus zu besitzen. Er hätte sich um das Vaterland und seinen Führer verdient gemacht, und dies wäre nur ein gerechter Ausgleich dafür. Ich habe damals nichts davon gewusst, das kannst du mir glauben.“ Magda schluchzte.
    Anne grübelte. Sie wollte ihr Gegenüber nicht weiter aufregen. Zum einen glaubte sie ihrer Mutter, die nicht genug gebildet war, zudem in der täglichen Propaganda die Mär über die Umsiedlung von Juden erfuhr und obendrein noch einen überzeugten Nazi geheiratet hatte. Aber zum anderen hätte sie doch bemerken können, was um sie herum vor sich ging, wenn Nachbarn verschwanden, in unmenschlichen Aktionen von der Gestapo abgeholt wurden, ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassen mussten und nie mehr auftauchten. Wer die Bibel der Nazis – Mein Kampf – aufmerksam las, hätte Bescheid wissen müssen.
    Magda Wieland hatte sich wieder beruhigt. „Als ich es 1946 erfuhr, war es zu spät. Nach der Verhaf...“ Sie hielt erschrocken inne.
    „Du wolltest sagen, nach der Verhaftung von Hans Wieland, deinem Mann, meinem Vater“, ergänzte Anne den Satz.
    Magda riss entsetzte Augen und Mund auf. „Woher weißt du das?“, fragte sie.
    „Ich bin Polizistin, ich gehe den Dingen auf den Grund“, erklärte Anne. „Die Prozessunterlagen kenne ich inzwischen. Außerdem habe ich in Ludwigsburg im Bundesarchiv Einsicht in die Akten über die NS-Verbrecher genommen.
    Magda Wieland sank in sich zusammen. „Also kennst du die eine Wahrheit über deinen Vater!“
    „Wieso eine?“, fragte Anne. „Welche denn noch?“
    „Ach, nur so“, flüsterte ihre Mutter. „Ich bin jetzt müde, Kind, ich kann nicht mehr, lass mich jetzt! Ich wünschte nur, dass ich dir einen besseren Vater ausgesucht hätte.“ Magdas sonst so
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