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Blutkirsche

Blutkirsche

Titel: Blutkirsche
Autoren: Gudrun Weitbrecht
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Autoverleihfirma vor dem Hochhaus stehen.
    Lorenz Tressel hatte seine wenigen Habseligkeiten gepackt.
    Nur in der Küchenzeile standen noch ein Schemel und ein Karton.
    „Sie sind abreisefertig?“, fragte Anne. „Wo soll es denn hingehen?“
    „Ja, ich bin fertig. Mit allem. Vielen Dank, dass Sie mich angerufen haben und vorbeikommen. Ich ziehe wieder zurück ins Rheinland. Mein Bruder bietet mir sein Gartengrundstück mit kleinem Häuschen – keine |206| Holzlaube – sondern ein gemauertes an. Wissen Sie, ich bin hier nie heimisch geworden und jetzt nachdem das passiert ist ...“ Lorenz schaute hinter seinen Brillengläsern die Kommissarin müde an.
    „Wie schön für Sie“, sagte Anne. „Ich wollte Ihnen nur persönlich mitteilen, dass Ihr Verdacht, dass Harry Kohl etwas mit dem Verschwinden Ihrer Tochter zu tun hat, sich als falsch erwiesen hat.
    Nachweislich war er zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz bei einer Fortbildung seiner Firma. Mehrere Zeugen haben dies bestätigt.
    Wenn es Ihnen ein Trost ist, die Kollegen haben sich die Dateien auf Harry Kohls Festplatte angesehen. Sie konnten keine Ähnlichkeit irgendeines Mädchens mit Ihrer Tochter feststellen.“
    „Tatsächlich?“ Lorenz atmete tief durch. „Aber das ändert nichts an meinem Entschluss, ich könnte nicht mehr hierbleiben und in meinen Schrebergarten gehen, wenn ich daran denke, was alles passiert ist. Fast war ich versucht, Harry Kohl etwas anzutun. Aber das hätte meinem Kind nicht geholfen, im Gegenteil, ich wäre darüber noch unglücklicher geworden.“
    „Ja, Mord ist niemals eine Lösung“, entgegnete Anne.
    „Ich wollte Kohl Samstag anzeigen, bin aber nicht mehr dazu gekommen, weil die Ereignisse sich überstürzten.
    Wissen Sie, am meisten hat mich enttäuscht, wie ich mich in meinen Gartennachbarn Wilma und Harry so irren konnte.
    Nie und nimmer hätte ich das vermutet.“ Tressels Stimme klang verbittert.
    „Nicht nur Sie“, erwiderte Anne. „Leider sieht man in einen Menschen nicht hinein. Ich hoffe, dass es Ihnen in Ihrer alten Heimat gut geht und Sie zur Ruhe kommen! Und wegen Ihrer vermissten Tochter – schließen Sie mit sich Frieden, sonst gehen Sie daran kaputt. Und nehmen Sie ihre Wetterstation mit!“
    Lorenz Tressel nickte. Zum ersten Mal sah Anne in seinen Augen so etwas wie einen Hoffnungsschimmer auf ein besseres Leben.
     
    Als Anne Mike Finks Gartentor aufstieß, traute sie ihren Augen nicht. Die fernöstliche Oase sah wie ein Trümmerfeld nach einem Bombenangriff aus. Die Rhododendren lagen herausgerissen und zertrampelt überall herum. Jemand hatte mit einer Heckenschere den Jasmin gestutzt und die Zweige wild zerstreut. Die Steinlaternen hingen zerbrochen am Zaun. Die Zierkirsche sah wie ein zerfleddertes Huhn aus, wertvolle Bonsais entwurzelt. Kieswege und einzelne Gräserstauden übersäten |207| Klopapierrollen. Die Tür der Pagodenlaube zeigte Einbruchspuren, an den Wänden hatte jemand mit roter Sprayerfarbe Zeichnungen hinterlassen, die Glasscheiben der Fenster waren zerbrochen. Nur die Findlinge standen noch auf ihrem ursprünglichen Platz.
    „Das waren aber nicht
wir
mit unserer Spurensicherung?“, fragte Anne Mike Fink, der wie benommen auf einer Steinbank saß. Sein rechtes Auge brillierte in Regenbogenfarben.
    „Nein, das waren Sie nicht!“
    „Was ist denn passiert, und woher haben Sie das blaue Auge?“, fragte Anne besorgt.
    „Gestern in der Dämmerung bin ich hier überfallen worden. Ich habe ihn nicht kommen sehen. Jemand im Tarnanzug und Skimaske hat mich zusammengeschlagen, bis ich bewusstlos war. Auf jeden Fall muss es jemand Kräftiges gewesen sein. Als ich wieder zu mir kam, sah es hier so aus. Vandalen!“, fluchte er.
    „Wollen Sie Anzeige erstatten? Haben Sie einen Verdacht, wer es gewesen sein kann?“, fragte Anne und zückte ihren Palm.
    „Das könnte fast jeder gewesen sein. Irgendein Fan von Harry vielleicht? Könnte aber auch ein normaler Einbrecher gewesen sein. Ach, was soll’s. Mir glaubt sowieso niemand, wenn hier das mit meinem Einbruch in Harrys Hütte rauskommt. Außerdem weiß seit der Polizeidurchsuchung jeder Gartennachbar Bescheid, dass ich verdächtigt wurde. Irgendetwas bleibt immer hängen.“
    „Aber trotzdem ... Ihr schöner Garten, die ganze Arbeit!“
    „Okay, für mich war’s das dann. Ich gebe auf! Harry Kohl hat gewonnen. Ich kaufe mir ein Gartengrundstück. Da kann ich tun und lassen was ich will. Vielleicht verreise ich auch erst einmal
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