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Blutiges Echo (German Edition)

Blutiges Echo (German Edition)

Titel: Blutiges Echo (German Edition)
Autoren: Joe R. Lansdale
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zusammen.
    »Wir brauchen gar keinen Geist«, sagte Joey. »Harry hat so schon die Hosen voll.«
    Harry versetzte ihm einen kräftigen Stoß vor die Brust, sodass er rückwärts an die Wand knallte, gegen die Jukebox rempelte und dort hängen blieb.
    »Hey«, sagte Joey. »War doch nicht böse gemeint.«
    Als er sich mit einer Hand an der Jukebox abstützte, um sich aufzurichten, rutschte sie ein Stück nach hinten. Im selben Augenblick fiel die Schallplatte von der Stapelachse und schlug klackend auf der darunterliegenden Scheibe auf.
    In Harrys Ohren klang der kurze Aufprall von Vinyl auf Vinyl wie ein kräftiger Beckenschlag, und es folgten noch weitere Geräuschexplosionen, die er nicht zuordnen konnte – Klänge, die hinter einer unsichtbaren Schranke gelauert zu haben schienen –, und dann erstrahlte ein gleißendes Licht, genau wie beim letzten Mal, nur noch heller und extrem heiß.
    Und da war Loretta Lynn, die von der Fist City sang. Zunächst klangen die Worte gedämpft, als würde ein Insekt in einer Tüte die Flügel schlagen, ehe sie allmählich lauter und deutlicher wurden, als wären die Worte und Töne nun greifbare Gegenstände, unsichtbare Kreaturen, die im Raum umherhüpften, auf seinen Ohren landeten und hineinkrabbelten. Und im Finstern seines Schädels explodierte ein ganzes Malergeschäft. Farbe spritzte in alle Richtungen, begleitet von einem lauten Rumms, dann ertönte noch ein Geräusch, als würde jemand mit einem Kugelschreiber einen Strich auf ein Blatt Papier krakeln. Schließlich wurde ihm warm, und er spürte einen Druck von außen, als hätte ihn jemand zu fest in eine flauschige Wolldecke gewickelt.
    Danach kamen die Bilder: ein Raum, und zwar der, in dem er gerade war, hell erleuchtet und deutlich zu erkennen. Er stand allein in der Mitte, und trotzdem sah er gleichzeitig alles aus der Vogelperspektive.
    Sonst befand sich in diesem Moment nichts weiter in dem Raum, weder Kayla noch Joey. Nur die Wärme, das Licht und das Gefühl der Enge; und dann sah er eine Frau in einem kurzen schwarzen Kleid, nicht besonders jung, sondern ungefähr im selben Alter wie seine Mutter. Sie stand gegen die Jukebox gelehnt. Und da war ein Mann. Genau wie die Frau schien er aus dem Nichts aufzutauchen; Schatten huschten aus irgendeinem Loch hervor, versammelten sich und schufen diesen Mann. Er war unrasiert, und an der Oberlippe hatte er eine große Narbe und noch ein paar kleine auf den Wangen. Als er sich bewegte, wippte sein dichtes schwarzes Haar wie ein Wischmopp.
    In der Hand hielt er ein Messer mit geschwungener Klinge.
    Das Messer blitzte auf; das Licht von der Decke spiegelte sich in der Klinge und ließ sie wie einen von Fackeln beleuchteten Silberklumpen in einer Mine funkeln. Dann bewegte sich die Klinge weg vom Licht, und rote Perlen flogen umher. Die Perlen erstarrten. In diesem Augenblick sah Harry, dass die Frau, die sich umgedreht und zum Sprechen angesetzt hatte, eine rote Kordel um den Hals trug. Sofort begriff er, dass das überhaupt keine Kordel war. Es war ein Schnitt. Eine dünne Linie, die immer breiter wurde.
    Die roten Perlen lösten sich aus ihrer Starre und spritzten zur Seite, die Frau taumelte vorwärts, und der Mann packte sie und schleuderte sie gegen die Jukebox. Mit einer Hand an der Wunde versuchte sie aufzustehen, doch er schlitzte ihr noch einmal quer über die Kehle, schnitt ihr in die Hand und trennte eine ihrer Fingerspitzen ab. Sie riss ihre verstümmelte Hand fort und klammerte sich an die Jukebox, dann sackte sie zu Boden.
    Sie blickte auf. Ihre dunklen Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie hatte den Gesichtsausdruck von jemandem, der gerade begriff, dass er in ein Wespennest gegriffen hatte.
    Loretta Lynn sang unbeirrt weiter.
    Der Mann beugte sich zu der Frau hinunter, setzte das Messer unterhalb ihres linken Ohrs an und führte es fest und langsam nach vorn zum Kinn, entlang der inzwischen schon dicken roten Linie, die er zuvor gezogen hatte, und weiter bis fast zum anderen Ohr.
    Ihr Kopf kippte zur Seite und knallte gegen die Jukebox.
    Ihr Blick wurde leer, ihre Augen tot wie schwarz angelaufene Pennys.
    Überall war Blut.
    Der Mann trat einen Schritt zurück, und Harry konnte sein Gesicht sehen – aber nur ganz kurz, denn die Schatten, die ihn geformt hatten, zerfielen und flohen in alle Richtungen, und der Mann war verschwunden. Dasselbe passierte mit der Frau, ein Flattern von Dunkelheit, und sie war fort, und die Musik verschwand mit ihr, als
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