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Blutiges Echo (German Edition)

Blutiges Echo (German Edition)

Titel: Blutiges Echo (German Edition)
Autoren: Joe R. Lansdale
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dem Geist zu tun hat.«
    »Was denn?«
    »Wir ziehen weg.«
    Harry kam es vor, als hätte ihm gerade jemand einen Hammer gegen die Stirn gedonnert.
    »Oh. Und wann?«
    »Nächstes Wochenende.«
    »Aha.«
    Sie nickte. »Hab’s eben erst erfahren.«
    »Hat dein Dad einen neuen Job?«
    »Nein. Nur Mom und ich ziehen weg.«
    »Oh.«
    »Tja. Sie haben sich gestritten.«
    »Du musst mit mir nicht darüber reden.«
    »Wir haben doch schon oft darüber geredet.«
    »Dein Vater wird schnell wütend.«
    »Genau wie Mama. Aber diesmal … diesmal ist es anders. Er hatte was mit einer anderen Frau. Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn er hierbleibt. Er arbeitet auch nicht mehr bei der Polizei, sondern will eine Autowerkstatt aufmachen. Er mag handwerkliche Arbeit. Und Mom hat einen Job in Tyler gefunden, in einem Kleidergeschäft.«
    »Tut mir echt leid, Kayla.«
    »Na ja, es ist, wie es ist, sagt Mom. Wir fahren ziemlich bald. Mom hat schon ein Haus gemietet.«
    »Oh.«
    »Ist das alles, was du dazu sagen willst? Oh?«
    »Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll … außer dass ich nicht will, dass du wegziehst. Ich will, dass du hierbleibst und hier zur Schule gehst. Wir könnten zusammen aufs College gehen. Ist doch eine nette Stadt.«
    »Es ist schon ganz okay hier. Aber ich könnte in Tyler aufs College gehen, hierher zurückkommen und bei den Bullen anfangen, so wie Dad.«
    »Ich will nicht, dass du gehst.«
    »Ich auch nicht. Glaubst du, dass manche Menschen füreinander bestimmt sind? Du weißt schon, wegen der Sterne und so?«
    »Mit den Sternen kenne ich mich nicht aus. Aber vielleicht sind manche Leute echt füreinander bestimmt. Vielleicht hat man ab und zu Glück und alles ist einfach perfekt. Wie Puzzleteile, die zusammenpassen.«
    »Und jetzt werden sie wieder auseinandergerissen.«
    »Irgendwie schon.«
    »Es muss ja nicht für immer sein.«
    »Auf gar keinen Fall.«
    Kayla nahm seine Hand und zog sie zu sich heran, und er spürte, wie seine Fingerknöchel ihr nacktes Bein berührten, gleich unterhalb ihrer Khakishorts. Ihr Parfüm roch intensiv. Harry wurde ganz warm. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Nicht so wie gestern, als er den Geist gesehen hatte, sondern auf eine angenehme Art.
    Schweigend saßen sie mit verschränkten Fingern da.
    »Du musst los, oder?«, sagte er.
    »Harry?«
    »Ja?« Er wandte ihr das Gesicht zu. Sie beugte sich vor und küsste ihn ganz zart auf die Lippen. Es war nicht mehr als nur eine kurze Berührung, aber in ihm stieg ein Gefühl auf, das er noch nie verspürt hatte. Nicht bloß eine Regung in der Unterhose, sondern noch etwas anderes. Etwas Seltsames.
    »Ich muss los«, sagte sie. »Ich bin schon viel zu lange hier. Hab Mom versprochen, ihr beim Packen zu helfen.«
    »Klar.«
    »Bis bald mal, oder?«
    »Bestimmt. Wir treffen uns wieder. Wir sind doch Puzzleteile, die zusammenpassen, schon vergessen?«
    »Du wirst mir fehlen.«
    »Du mir auch. Und wie.«
    Dann stand sie auf und ging davon. Auf der Straße fing sie an zu laufen, und Harry fiel auf, dass sie sehr schnell laufen konnte, und zwar nicht so mädchenhaft, sondern eher wie ein Olympionike, der die Fackel trägt.
    Sie rannte immer schneller, und schon bald sah er sie um die Ecke biegen und hinter einem Nachbarhaus verschwinden. Er stand auf und eilte die lange Veranda entlang zur anderen Seite des Hauses. Im grellen Sonnenlicht blieb er stehen, kniff die Augen zusammen und schirmte sie mit der Hand ab wie ein Cowboy, der den Horizont absucht.
    Da sah er sie wieder. Sie rannte dort entlang, wo die Straße eine Kurve machte, und wurde von immer mehr Häusern verdeckt. Harry beobachtete, wie sie zwischen ihnen weiterflitzte. Er erhaschte nur mehr flüchtige Blicke, doch er war froh, sie überhaupt noch zu sehen. Ihre langen Beine griffen weit aus, und ihr blondes Haar wehte hinter ihr her.
    Die Straße bog erneut ab, ein Haus verdeckte die Sicht, und dann war Kayla weg.

Kapitel 8
    Ein halbes Jahr später saß Harry einmal auf der Suche nach etwas Sehenswertem auf dem Fußboden vor dem Fernsehapparat und surfte mit seiner getreuen Fernbedienung über das Meer der Funkwellen, als ihn eine unerwartete Erkenntnis traf.
    Es kam tatsächlich nichts im Fernsehen.
    Nichts, was er hätte sehen wollen.
    Null.
    Nada, niente, zero.
    Was zum Teil daran lag, dass die Familie keine Privatsender abonniert hatte. Doch auch mit dem Standardanschluss empfingen sie eine Menge Programme. Aber es kam einfach nichts Gescheites.
    Er
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