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Blutiges Echo (German Edition)

Blutiges Echo (German Edition)

Titel: Blutiges Echo (German Edition)
Autoren: Joe R. Lansdale
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dreizehn Jahren wahrscheinlich überhaupt nicht rumschlagen musste, für die er gar keine Zeit gehabt hatte, weil er sich den Großteil seiner Jugend abgerackert hatte, aber Harry konnte nun mal nichts dagegen tun. Er machte sich eben Gedanken. Die Ängste des Harry Wilkes in voller Pracht. Zum Beispiel während spätnächtlicher Streifzüge durch eine Männerzeitschrift, die Joey ihm zugesteckt hatte und die er unter seiner Matratze verbarg.
    Ja, das war typisch für ihn. In einer Hand die Zeitschrift, in der anderen sich selbst, so vollbrachte er sein schmutziges Werk – und fühlte sich schlecht dabei, dank Sonntagsschule und Gottesdienst, denn ein bärtiger, voyeuristischer, grinsender, selbstgerechter Gott schaute ihm über die Schulter, während er sich die Lanze polierte.
    Das konnte einen ganz schön nervös machen.
    Kein Zweifel, dachte er, während er so im Bett lag. Ich hab … wie heißt das noch mal …?
    Ach ja.
    Komplexe.
    Genau so was hab ich.
    Gottverdammte Komplexe.
    Am Morgen nach seinem Kampf mit den Komplexen erwachte Harry mit einem Plan.
    Eine Mutprobe. Das war es.
    Einem Geist die Stirn bieten, und zwar vor den Augen eines Mädchens. Eines Mädchens wie Kayla. So konnte man zeigen, dass man aus dem richtigen Holz geschnitzt war, um mit einem Mädel zu gehen, das ihm das Fell über die Ohren ziehen konnte. Einen Geist suchen und ihm furchtlos entgegentreten, damit musste er doch punkten.
    Bloß – so mutig war Harry nicht. Also rang er sich dazu durch, Joey mit ins Boot zu holen. Besser, man hatte Verstärkung dabei. Er fand – oder hoffte zumindest –, dass man auch mit Verstärkung Eindruck schinden konnte. Das sollte doch zu schaffen sein.
    Denn einen Geist gab es ja, so richtig übersinnlich und mit allem Drum und Dran. Joey, Kayla und er hatten durch ältere Nachbarskinder von ihm erfahren, und Harry hatte sogar seine Mutter mit Joeys Mutter darüber reden hören. Im Honkytonk am Fuß des Hügels. Ein echtes Gespenst.
    Es war der Geist der armen alten Evelyn Gibbons. Sie saß im leer stehenden Honkytonk fest, wo sie nachts umherstrich; der Kopf hing ihr seitlich auf die Schulter, und ihr Hals war so rot, als trüge sie einen scharlachroten Schal.
    So erzählte man sich. Manche Leute behaupteten, sie gesehen zu haben. Andere meinten, man könne sie dann und wann schreien hören. Joeys großer Bruder Evan, der sie alle von Zeit zu Zeit verprügelte – sogar Kayla, obwohl sie sich tapfer wehrte –, sagte, er habe Evelyn Gibbons zweimal kreischen hören, und beide Male hätten sich ihm die Nackenhaare aufgestellt und er hätte die Beine in die Hand genommen.
    Gut möglich, dass Evan log.
    Er trieb gern seine Späße mit ihnen.
    Doch in diesem Punkt glaubte Harry ihm lieber, weil es in seinen Plan passte.
    Er musste an den Geist glauben.
    In erster Linie musste Kayla an den Geist glauben, der stöhnend dort unten im Honkytonk umherschwebte und schrie.
    Und auf sie wartete.
    Die Nacht war voll samtweicher Dunkelheit und schimmerndem Mondlicht. Umrandet von seinen Silberstrahlen, huschten ihre drei Schatten über die Erde, während sie den Hügel hinabrannten.
    Als sie unten angekommen waren, hielten sie kurz vor dem Honkytonk inne, um zu verschnaufen.
    »Wenn Daddy rausfindet, dass ich abgehauen bin«, sagte Joey, »dann krieg ich eine schlimmere Tracht Prügel als letzte Woche.«
    Damit meinte Joey sein Auge. Sein Vater hatte ihm ein Veilchen verpasst. Joey lief oft mit einem blauen Auge, einer geschwollenen Lippe, einem geprellten Kiefer oder einer Beule am Kopf herum.
    Harry hatte einmal miterlebt, wie Joeys Vater ihm eine Ohrfeige verpasst hatte. Wegen einer Kleinigkeit. Joey hatte eine Schublade offen stehen lassen oder so.
    Harrys Vater sagte, James Barnhouse sei ein verbitterter alter Mistkerl. Er sei wütend, weil sein Bein in der Highschool kaputtgegangen war. Eine Football-Verletzung. Zu viele muskelbepackte Jungs auf seiner Kniescheibe. Davor war er echt spitze gewesen, hatte das Zeug zum Profi gehabt. Danach konnte er von Glück sagen, einen Job als Caddie zu bekommen und die Golfschläger reicher Typen herumschleppen zu dürfen. Er lebte von seinem geringen Gehalt und ein bisschen Trinkgeld, las Krimi- und alte Sex- und Bondage-Heftchen und verdrosch seine Söhne, wenn sie die Dinger in die Finger kriegten und lasen. Außerdem schlug er hin und wieder seine Frau, nur damit der Arm beweglich blieb und er nicht aus der Übung kam.
    Er lief im Leerlauf – so bezeichnete Harrys
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