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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit ihm sprechen. Wir müssen ihn gründlich durchleuchten.«
    Er hielt Irena fest, die ihm nachwollte, und drückte sie gegen die feuchte Wand.
    »Du bleibst, sage ich!«
    »Er wird uns nicht verraten!« rief sie. »Er wird für uns arbeiten!«
    Lucek winkte. Zwei Studenten nahmen sie in die Mitte und führten Irena in den nächsten Keller, wo die Setzerei untergebracht war. Auf alten Tischen standen die Handsatzkästen, stapelten sich die Satzschiffe und Schließrahmen. Es war ein Glück, daß heute Dienstag war und nicht die alte Druckpresse rumpelte. So erfuhr Karel Pilny nicht, was sich weiter hinten in den Gewölben verbarg.
    »Ihr bringt ihn um«, stammelte Irena, als man sie gewaltsam auf einen Hocker setzte. »Mein Gott, ihr bringt ihn um, wenn er ein falsches Wort sagt. Es ist meine Schuld, daß er hier ist. Laßt mich wenigstens dabei sein, wenn ihr ihn verhört! Er weiß doch gar nicht, wo er ist! Ich habe ihm doch bloß gesagt: Ich bringe dich zu meinen Freunden. Es sind lustige Studenten wie ich. Ihr benehmt euch genauso wie die, die ihr bekämpft!«
    Im Nebenkeller sprach Michael Lucek mit Karel Pilny. Sie standen sich gegenüber wie zwei Fechter und belauerten sich, wer den ersten Ausfall machen würde und wohin der Stich führen sollte.
    Michael Lucek stammte aus einer guten Familie. Sein Vater war Rechtsanwalt in Pilsen, seine Mutter die Tochter eines Bankiers, den die Deutschen 1942 erschossen hatten, weil er die Attentäter gegen den Reichsprotektor Heydrich finanziert haben sollte. Michael, der einzige Sohn, wuchs im kommunistischen Land so bürgerlich auf, wie es in den alten tschechischen Familien Tradition war. Er las Johannes Hus und Franz Kafka, erfreute sich am braven Soldaten Schweijk und marschierte nur widerwillig in der kommunistischen Jugendorganisation mit, was notwendig war, denn Vater Lucek erhielt seine besten Klienten aus den Reihen der Partei. So lernte er gewissermaßen mit den ersten Schritten auch den Unterschied zwischen politischer Theorie und alltäglicher Praxis und erhielt ein Weltbild und den kämpferischen Willen, es in seiner Generation besser zu machen als die Väter, die erst einen Hitler und dann einen Stalin schlucken mußten ohne die Kraft, diese auch zu verdauen.
    Nach dem Abitur, das er mit Auszeichnung machte, studierte Michael Lucek Medizin. Er hatte alle Anlagen, ein guter Arzt zu werden, aber er zeigte auch schon im ersten Semester, daß er nicht gewillt war, alles, was man ihm vorerzählte, auch kritiklos hinzunehmen. Er entwickelte eigene Gedanken, was keinem Ordinarius gefiel, er wurde ein ›unorthodoxer Student‹, der schnell eine Gruppe Gleichgesinnter um sich scharte … der erste Unkrautsamen, wie es einmal ein Professor nannte, aus dem in diesen Frühlingstagen 1968 als duftende Blüte die umwerfenden Gedanken der Reform erwuchsen.
    Lucek stand auch auf den Listen der Polizei. Er wußte es und kümmerte sich wenig darum. Er war neunmal verhaftet worden, man hatte ihn geschlagen und getreten, drei Tage nackt in einen kalten Keller gesperrt und nur wieder ans Tageslicht gelassen, weil Vater Lucek über seine großen Freunde in der Partei ein Niederschlagen des Verfahrens erreichte.
    »Sie wissen, wo Sie sich befinden?« fragte Lucek, nachdem er Karel Pilny lange genug gemustert hatte. Der erste Eindruck, sonst immer – wie man sagt – maßgebend, versagte hier. Pilny war ein junger Mann, weiter nichts. Er hatte keine fanatischen Augen, er zeigte in dieser erregenden Umgebung keine mühsam verborgene Neugier … er stand einfach da, die Hände in den Hosentaschen, und wartete.
    »Ich ahne es.« Pilny nickte dankend, als Lucek auf einen alten, wackeligen Stuhl wies, und setzte sich. Lucek klemmte sich einen Hocker zwischen die Beine. »Glauben Sie mir, ich hatte keine Ahnung. Irena sagte, sie wolle mich zu fröhlichen Freunden bringen. Studenten. Ich würde zu ihnen passen.«
    »Und Sie passen zu uns?« Die Frage war wie ein Schuß.
    Karel Pilny hob die Schultern. Das war eine Gewissensfrage. »Ich weiß nicht. Ich will ganz offen sein … ich kenne die Politik von beiden Seiten. Im Funkhaus herrscht endlich der gleiche Geist wie in den Zeitungsredaktionen, im Schriftstellerverband, bei den Studenten und Künstlern, bei allen Intellektuellen unseres Landes.«
    »Sie sagen ›endlich‹. Wir kennen Sie, Karel Pilny. Sie sind ein guter Kommunist. Sie gehören wie wir einer Generation an, die nichts anderes kannte als gehorchen, Moskau zu verehren wie
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