Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bluteis: Thriller (German Edition)

Bluteis: Thriller (German Edition)

Titel: Bluteis: Thriller (German Edition)
Autoren: Marc Ritter
Vom Netzwerk:
später.«
    Thien ging zu Tür und schlüpfte in die Stiefel, die dort unter der Garderobe standen. Gerade als er das erste Schuhband zur Schleife gebunden hatte, klingelte es. Er riss die Tür eine halbe Sekunde später auf und sah einen verdutzten Postboten. »Das war schnell«, sagte der.
    »Amazon?«
    »Einschreiben.«
    »Finanzamt?«
    Der Postler sagte nichts, hielt Thien nur seinen Handheld-Computer zur Unterschrift unter die Nase. Nachdem Thien auf dem verkratzten grauen Display seinen unleserlichen Kringel hinterlassen hatte, wurde ihm das Schreiben ausgehändigt. Es war nicht vom Finanzamt. Das Finanzamt klebt keine bunten Marken und Luftpostaufkleber auf die Umschläge.
    Thien griff nach dem Brief, aber der Postbote zog ihn wieder weg, als wollte er ihn ärgern. »Acht Euro zwanzig Nachgebühr. Lern mal deiner vietnamesischen Verwandtschaft, wie man ordentlich frankiert!«
    Thien stand da wie vom Donner gerührt. Vietnam? Ein Brief aus Vietnam? Er kramte einen Zehner aus der Hosentasche und hielt ihn dem Postmann hin. Dann schnappte er sich den Brief mit einer schnellen Bewegung. »Passt«, sagte Thien, bevor er die Tür zuschlug.
    Freitag, 21. Dezember, 10 Uhr
Zürich, Schweiz, Hauptverwaltung der Caisse Suisse

    Albert Sonndobler war unglücklich. Er saß zusammengesunken im überdimensionierten Chefsessel hinter seinem Schreibtisch und starrte durch die Fensterfront seines Büros über die Altstadt. Die schlechten Nachrichten, die sein wichtigster Konkurrent von der anderen Seite des Zürcher Paradeplatzes und der große deutsche Cousin aus Frankfurt im Minutentakt veröffentlichen mussten, hätten seine Stimmung aufhellen müssen. Doch es wollte sich einfach keine Champagnerlaune einstellen. Schlechte Nachrichten der anderen Branchengrößen waren auch schlechte Nachrichten für ihn. Längst war klar, dass das internationale Finanzwesen nicht ohne massive Imageverluste aus den Krisen der vergangenen zehn Jahre gekommen war. Keiner wollte mehr etwas mit Bankern zu tun haben. Teilweise zu Recht, wie Sonndobler insgeheim dachte. Aber auch nur teilweise. Doch seine private Meinung interessierte nicht. Der Aktienkurs seiner Caisse Suisse, des größten Instituts der Schweiz, kannte seit Monaten nur eine Richtung – abwärts. Er betrachtete die Statuette, die er als »Bankier des Jahres« im Sommer von dem Finanzmagazin aus London überreicht bekommen hatte. Eine Titelgeschichte hatten sie ihm gewidmet. Was würde das alles wert sein, wenn die Aktien der Bank bald nur noch ein Drittel dessen kosteten als zu dem Zeitpunkt, zu dem er sich auf dem Chefsessel niedergelassen hatte?
    Passend zu seiner Stimmung graupelte es seit Tagen. Durch die Schauer hindurch ahnte er den See. Der Nebel, der über das Wasser strich, um zwischen die Bankzentralen und Unternehmensverwaltungen zu kriechen, verdichtete sich nach oben und ging nahtlos in eine graue Wolkendecke über. Diese schien nur wenige Meter über der Stadt zu hängen und sie einzuhüllen wie die Watte ein Schmuckstück in seiner Schatulle.
    Dieser Gedanke, der ihm intuitiv gekommen war, machte ihn noch unglücklicher. Er dachte an das Geschenk. Morgen, am Samstag vor Weihnachten, musste er in die Bahnhofstraße zu Tiffany & Co., Beyer und in all die anderen Läden. Persönlich. Dafür konnte er nicht Winfried schicken. Das war keine Aufgabe für einen Chauffeur, auch wenn Winfried sie sicher mit Bravour erledigt hätte. Aber der President und CEO der größten schweizerischen Bank konnte nicht seinen Fahrer entsenden, um das Weihnachtsgeschenk für seine Gattin zu kaufen. Unmöglich. Man würde es Isabel innerhalb weniger Stunden zutragen. Und dann hinge an Weihnachten der Haussegen schief. Auch das noch.
    Nein, er musste es selbst tun, sich dabei beobachten lassen, wie er, einer der viel beschäftigten und mächtigsten Männer der Schweiz, an dessen Schaffen das finanzielle Schicksal von internationalen Multis und ganzen Staaten hing, sich die Zeit nahm, eine exklusive und elegante Preziose für seine geliebte Frau auszuwählen. Mindestens zwei Stunden müsste er entspannt und relativ gut gelaunt durch die Uhrmacher- und Juweliergeschäfte auf der Bahnhofstraße flanieren und sich hier und da das eine oder andere zeigen lassen. Es dürfte in diesem Jahr nicht schon wieder ein mechanischer Genfer Zeitmesser sein. Isabel hatte letztes Jahr schon die Brauen nach oben gezogen, zwar nur andeutungsweise, aber doch deutlich genug.
    Nein, dieses Jahr musste das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher