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Blutbraut

Blutbraut

Titel: Blutbraut
Autoren: Lynn Raven
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müde.«
    »Armes.« Sein Arm zog mich enger an seine Seite. »War die Schicht so schlimm?« Als sei ihm plötzlich ein Gedanke gekommen, blieb er stehen. »Soll ich dich vielleicht lieber nach Hause bringen und wir …«
    »Nein!« Viel zu laut und viel zu hart. Verblüfft rückte er ein Stückchen von mir ab. »Ich …« Das hier war Cris. Ich konnte ihn mit zu mir nach Hause nehmen. Ich konnte ihm vertrauen. Er würde mich nicht verraten. Er würde auch nicht die Nase rümpfen, wenn er sah, wie ich wohnte. Und trotzdem … Ich rang mir ein Lächeln ab. »Nein. Ich habe mich so auf den Abend mit dir gefreut. Ein bisschen frische Luft und bis wir am Auto sind, bin ich wieder fit. Versprochen.« Lügnerin!

    »Bist du sicher?«
    »Ganz sicher.« Ich schob mich unter seinen Arm zurück und lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter. Ein kurzes, irgendwie noch immer zweifelndes Zögern, dann zog Cris mich wieder dicht an sich und wir gingen weiter. Schweigend. Ich genoss es.
    An der nächsten Ecke bogen wir in eine Seitenstraße. Anscheinend hatten die Häuser bisher den Wind von uns abgehalten, denn nun schlugen uns die kalten Böen ungemindert entgegen, schüttelten Nässe von den Straßenlaternen. Ihr gelbes Licht glänzte in den Pfützen. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch, löste im Gehen meine Jacke von meiner Tasche und schlüpfte in die Ärmel. Viel würde sie vermutlich nicht bringen, aber sie war immer noch besser als nichts. Cris’ Arm war von meinen Schultern gerutscht. Er sah auf mich hinab. Beim Anblick meiner Jacke huschte etwas über sein Gesicht, das ich nicht deuten konnte.
    »Hier!« Er blieb stehen, zog sein Sweatshirt von den Schultern und legte es mir um. »Lass uns zusehen, dass wir dich ins Auto und dann ins Warme bringen. Es ist nicht mehr weit. Nur noch zwei Blocks.« Seine Hand streifte meine Wange, dann beugte er sich zu mir, um mich erneut zu küssen. Ich reckte mich ein wenig, kam ihm auf halbem Weg entgegen. Ein Auto fuhr an uns vorbei, wurde langsamer – für einen Moment versteifte ich mich – und beschleunigte wieder. Cris’ Zunge stahl sich in meinen Mund. Seine Arme hielten mich. Ich verbannte die Welt aus meinen Gedanken, schmiegte mich an ihn. Es war mir egal, wer uns sah. Meinetwegen konnten wir die ganze Nacht so zubringen.
    Ich spürte ihn in der Sekunde, in der Cris seine Lippen von meinen löste. Schnell machte ich einen Schritt zurück.

    »Was …?«, setzte Cris verblüfft an, verstummte dann aber, als ich seine Hand ergriff und ihn hastig vorwärtszog.
    Er war auf der anderen Seite. Noch ein Stück weit von uns entfernt. Ein schlanker, mittelgroßer Mann. Dunkelblond. Abgesehen davon, dass er verwirrend gut aussah, wirkte er nicht anders als ein normaler Mensch. Anscheinend knapp um die vierzig. Das bedeutete, er war alt. Und entsprechend mächtig. Warum jetzt? Warum heute Nacht? Sie haben mich so lang nicht gefunden … Hast du tatsächlich gedacht, das Schicksal würde es einmal gut mit dir meinen, Lucinda? Er war nicht allein. Drei weitere Männer. Sie waren nicht wie er. Zwei hinter uns, aus der Richtung des Forty-two. Einer bei ihm auf der anderen Seite der Straße – die sie eben überquerten. Direkt auf uns zu. Ansonsten war keine Seele zu sehen. Boston hätte von einer Sekunde zur anderen eine Geisterstadt sein können. Natürlich. Sie wollten keine Zeugen. Mehrere Blocks weiter leuchteten die Rücklichter eines Wagens rot auf.
    Ich beschleunigte meine Schritte. Zog Cris hinter mir her. Wobei … Eigentlich musste ich das gar nicht. Er ging ebenso schnell wie ich. Hatte er die Männer auch bemerkt? Ahnte er, was sie wollten? Nein, wie hätte er. Das hier war eine Welt jenseits der der ›normalen‹ Menschen. Trotzdem stellte er keine Fragen. Aber er würde es tun. Früher oder später.
    Nur ein paar Meter weiter war eine kleine Seitengasse; wenn wir sie erreichen konnten …
    Ein dunkles Schimmern kräuselte plötzlich den Asphalt. Kroch auf uns zu. Der Boden unter unseren Füßen war mit einem Mal klebrig, erschwerte jeden Schritt. Wie in einem Albtraum, in dem man rannte und doch nicht von der Stelle kam. Die Männer hinter uns hatten uns beinah eingeholt. Die vor
uns waren stehen geblieben, erwarteten uns – mich. Ich blieb ebenfalls stehen. Cris hielt genauso abrupt an, drehte sich zu mir, sah zwischen mir und den Männern hin und her. Wachsam, angespannt. Versuchte mich weiter zu ziehen. Ich rührte mich nicht. Sie wollten mich. Nicht ihn. Nur mich. Der
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