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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer
Autoren: C Wilken
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dich aus«, sagte Marie und ging zu ihrem Onkel, der sie beobachtete, während er die Luft hörbar durch seine Lungen presste. Ruben schob ihr den Stuhl neben das Bett.
    »Ich lasse euch allein.«
    Marie küsste Remigius auf die kühle Stirn und setzte sich. Seine Haut war dünn und durchscheinend, seine hellen Augen blickten klar. Die Tür fiel ins Schloss, und bis auf den rasselnden Atem des Sterbenden war es still in der Kammer. Remigius drehte den Kopf zu ihr, und eine seiner Hände fiel kraftlos auf die Decke, wo Marie sie sacht umfasste.
    »Die Tafeln, Marie. Habt Ihr sie gesehen?«, flüsterte er heiser.
    Sie nickte und verfluchte im Stillen die Tafeln, die allen, die mit ihnen zu tun gehabt hatten, nur Unglück gebracht hatten. Wem hätte es jemals zum Wohle gereicht, nach dem Lapis zu streben?
    »Ich weiß, dass es funktioniert. Die Gestirne. Ihr müsst die Konstellation der Gestirne herausfinden. Das sagen die Tafeln.« Er hustete, und Marie wischte ihm mit einem bereitliegenden Tuch den blutigen Ausfluss vom Kinn.
    »Es ist vorbei, Oheim. Ruht Euch aus.«
    »Nein, nein. Ruben hat die anderen Tafeln gesehen und es aufgezeichnet. Es geht darum zu verstehen, wann die Tierkreiszeichen erscheinen und welcher Planet in Konjunktion mit dem Widder stehen muss. Das ist das Zeichen des Karfunkels, Marie! Aries, der Widder!« Er hustete erneut und tastete mit seiner zitternden Rechten nach einer Schnur, die um seinen Hals hing. »Da, nehmt!«
    Vorsichtig holte Marie das Lederband unter Remigius’ Hemd hervor und legte ihm den Samtbeutel in die Hand.
    »Nein. Das ist Euer!« Er wischte den Beutel von seiner Brust, und Marie knotete das Bändchen von seinem Hals und legte beides in ihren Schoß, wo es sich fremd und feindlich anfühlte.
    Remigius’ Augen blitzten auf, und für einen kurzen Moment war er der verschmitzte gelehrte Oheim, den sie so sehr ins Herz geschlossen hatte. »Wir mussten Larding und seinen Schergen die Tafel und den Stein geben, aber Ruben hat dem Grafen die Fälschung untergeschoben. Ha! Euer Ruben ist ein Künstler! Niemand hätte das auf den ersten Blick sehen können! Wir mussten es tun. Larding hatte Euch in seiner Gewalt!« Er rang nach Luft, blinzelte und lächelte schwach. »Ich weiß, dass Ihr Ruben liebt und er Euch. Der Stein ist Eure Zukunft! Mehr kann ich Euch nicht geben.«
    »Ich will ihn nicht.« Es ist ein Blutstein, dachte Marie.
    »Seid nicht dumm. Er wird Euch zu Reichtum verhelfen, Euch Tore öffnen …« Das Reden strengte ihn an. Er schloss die Augen, um sich zu sammeln, zuckte plötzlich, stöhnte schmerzerfüllt auf und griff sich ans Herz. Flüssigkeit rann ihm aus Nase und Mund.
    Marie nahm einen Lappen, tauchte ihn in eine Wasserschale und rieb Remigius das Gesicht ab. Plötzlich schlug der Sterbende die Augen auf und sah sie flehentlich an.
    »Er ist da. Er will mich holen. Marie, ich habe sie gesehen. Hortense wartet auf mich. Und mein Bruder. Er hat mir verziehen.«
    Weinend nahm Marie seine Hand und drückte sie an ihre Lippen. »Ich weiß, dass Ihr sie geliebt habt.«
    »Ja, und das war das einzig Schöne in meinem Leben. Das einzig Schöne und Gute war die Liebe, die ich für Eure Mutter empfand und die wir nicht …« Ein neuer Krampf erfasste ihn. Er röchelte, griff sich an die Kehle, und nach wenigen Augenblicken verzweifelten Ringens mit einem Gegner, dem niemand widerstehen kann und der sich weder durch Gold noch durch Edelsteine bestechen lässt, erschlaffte der Körper ihres Oheims. Mit einem langen, qualvollen Seufzer schickte Remigius von Kraiberg seine Seele auf ihre ewige Reise.
    Schluchzend faltete Marie die Hände des Toten auf seiner Brust und schloss ihm die weit aufgerissenen Augen. »In deine Hände, Herr, befehlen wir diese arme Seele. Amen.« Sie bekreuzigte sich und starrte auf den Samtbeutel in ihrem Schoß. Zu viel Blut und Tränen klebten an diesem Stein, den sie nicht einmal aus seiner Hülle nehmen wollte. Stattdessen wickelte sie das Lederband auf und steckte den kleinen Sack mit seinem kostbaren Inhalt in ihren Gürtelbeutel. Ihr Entschluss stand fest.
    Sie räusperte sich und ging zur Tür. Ruben stand am Fenster des Ganges und kam sofort zu ihr. »Er ist von uns gegangen.«
    Obwohl sie darauf gefasst gewesen war, tat der Abschied von ihrem Oheim unendlich weh. In kurzer Zeit hatte sie eine tiefere Bindung zu ihm aufgebaut, als sie je zu ihrem Vater gehabt hatte. Ruben ging an ihr vorbei in das Sterbezimmer, kniete sich neben dem
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