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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz
Autoren: Timo Leibig
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einen langen Moment die Augen.
    »Eine alte Bekannte«, sagte er heiser, während seine Pupillen unter den Lidern hin und her zuckten. „Alexander kennt die gesamte Geschichte. Ich habe sie ihm erzählt. Sie sah aus wie deine Freundin.«
    Erik schlug die Augenlider wieder auf. Die Wimpern waren mit einer schimmernden Schicht aus Eis bedeckt. Plötzlich erbebte sein Körper erneut. Seine Brust hob sich krampfartig, dann sackte er auf den weichen Erdboden zurück. Seine Augen wurden glasig, als starre er in ferne Welten. Was er im nächtlichen Himmel sah, würde sein Geheimnis bleiben. Nur die fallenden Schneeflocken spiegelten sich weißen Punkten gleich in seinen dunklen Pupillen.
    „Oh Laura“, hauchte er. „Vergib mir! Es tut mir so leid.“
    Mit diesen Worten erschlaffte Erik Ritter.

Kapitel 27
    »Ist das nicht viel zu gefährlich?«
    Natalja starrte auf die flackernde Fackel, die Burkard vor ihr in die Höhe hielt und trottete weiter hinter ihm her.
    Er schüttelte den spärlich behaarten Kopf, während er sie, Elias und Alexander tiefer in den dunklen Hain führte.
    »Bei diesen gekauften Metallfackeln kann so gut wie nichts passieren«, sagte er. »Außerdem sind die Stämme saftig und die Rinde feucht. Das Risiko eines Brandes ist minimal.«
    Damit schien er alles gesagt zu haben, was es gab, denn er lief ohne innezuhalten weiter. Vielleicht wollte er auch nichts sagen. Der Schock saß bei allen tief.
    Er wird schon wissen, was er tut, dachte Natalja und folgte weiterhin ihrem Führer. Sie war sowieso schon genug damit beschäftigt, auf den tückischen Pfad zu achten und um nicht im spärlichen Licht zu stolpern, das gerade so bis zu ihren Beinen hindurchdrang. Wobei, es gab keinen sichtbaren Pfad. Burkard steuerte die kleine Prozession kreuz und quer durch den Wald, über natürliches Gelände, vorbei an massigen Stämmen und knorrigen Auswucherungen, die sich hinterlistig aus dem erdigen Boden schoben. Dazu stahlen sich immer wieder Tränen in ihre Augen und raubten ihr die Sicht. Die Erschütterung über Erik Ritters Tod behinderte sie immer noch wie eine klaffende Wunde.
    Das war zusätzlich ein Grund, warum der Rest des Weges in tiefem Schweigen verlief. Niemandem war besonders zum Reden zumute. Nur das Rascheln des Waldbodens und das Zischen des verbrennenden Lampenöls, mit dem die Fackel gefüllt war, begleitete sie.
    Auf einmal blieb Burkard stehen und trat zur Seite.
    Natalja sah einen pechschwarzen Teich vor seinen Füßen beginnen, der auf einer Seite von wuchtigen Bäumen umringt war. Auf der anderen Seite, wo sie Halt machten, gab es eine natürliche, kleine Lichtung, die nun in helloranges Licht getaucht war, das hin und her zuckte. Die Flamme spiegelte sich in der glatten Oberfläche des Wassers wie ein Leuchtfeuer wieder.
    Wäre die Fackel nicht gewesen, hätte hier absolute Düsternis geherrscht. Das Blätterdach über ihren Köpfen schien so dicht zu sein, dass nicht einmal eine einzige Schneeflocke heruntertrudelte. Und Natalja wusste, dass es mittlerweile heftig schneite. Und selbst wenn der Himmel klar gewesen wäre und Vollmond die Welt in sein silbrig, knochiges Licht getaucht hätte, hätte hier die Mutter aller Nächte befehligt. Schwarz, undurchdringlich, allgegenwärtig. Eine Gänsehaut wollte sich auf ihrer Haut breitmachen, doch in diesem Moment schlossen Elias und Alexander auf und zusammen bildeten sie einen Halbkreis.
    Als die Versammlung komplett war, spürte Natalja eine unerklärbare Kraft in der Luft flirren, die sie umschmeichelte. Sie konnte nicht in Worte fassen, was sie genau fühlte, aber ihr war, als sei jemand hier. Eine Präsenz. Etwas Denkendes, aber kein Mensch.
    Ihre seltsamen Gedanken wurden unterbrochen.
    »Das hier«, begann Burkard und deutete mit einer umfassenden Geste auf die Lichtung, den Teich und die Bäume »ist das Herzstück des Klosters. Die alte Eiche, die ihr dort stehen seht, ist der älteste Baum im Hain. Hierher kommt der Abt zur Meditation und wenn man das Kollektiv um Macht aufsuchen will.« Ein Lächeln verzog sein faltiges Antlitz. »Und hier findet man wahre Ruhe und Frieden. Ihr wisst wahrscheinlich gar nicht, was das Wort innere Ruhe wirklich bedeutet. Hier könnt ihr es kennenlernen. Deshalb wollte ich euch den Ort zeigen.« Er stockte als suche er nach den richtigen Worten. »Und es wäre eine angemessene letzte Ruhestätte für Erik.«
    Niemand antwortete etwas darauf. Die folgende Stille war vollkommen. Alle sahen sich
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