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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz
Autoren: Timo Leibig
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Dauerlauf hinter sich zu haben, denn seine Turnschuhe waren vollkommen mit Schnee verkrustet. Nasse Ränder zogen sich bis zu den Waden hinauf.
    Natalja schluckte aufgeregt. Von einer Halswirbelfraktur war nichts mehr zu erahnen, auch nichts von lebenserhaltenden Schläuchen, Nadeln und Geräten. Es war nicht vorstellbar, dass Elias vor wenigen Stunden notoperiert worden war und mit dem Tot einen Tango getanzt hatte.
    Sie wollte losstürmen, doch sie war unfähig sich von der Stelle zu rühren. Ihre Beine schienen mit dem Boden verwurzelt zu sein.
    Stattdessen musterte sie ihn mit offenem Mund, während er mit seinem leicht federnden Gang und erhobenen Hauptes auf sie zukam.
    Sein Gesichtsausdruck war dabei unergründlich wie ein Tiefseegraben. Obwohl sie ihn schon lange und innig kannte, war es ihr unmöglich, seine Gefühle in diesem Moment abzulesen.
    »Was … was tust du hier?« stammelte sie, als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war. »Deine Verletzungen? Dein Hals? Oh Gott! Elias! Ich habe dich so vermisst! Wie kommst du hierher? Wie geht es dir?«
    Ein kurzes Lächeln durchbrach die unergründliche Tiefe. Er blieb eine Armeslänge vor ihr stehen.
    »Später, mein Schatz«, sagte er zärtlich und strich ihr dabei sanft über die Wange. Seine Finger waren warm und folgten dem Schwung ihres Wangenknochens bis hin zu ihrem Kinn. Die Berührung hinterließ ein angenehmes Kribbeln auf ihrer Haut und sie schien in seinen dunklen Augen zu ertrinken. Sie sprühten vor Wärme und Barmherzigkeit.
    Wieder einmal wurde ihr klar, warum sie ihn so sehr liebte, warum sie ihn niemals mehr hergeben würde.
    »Ich muss mich erst um meinen Vater kümmern«, flüsterte er sanft.
    Ohne weitere Worte trat er an ihr vorbei und lies sich neben Erik in die Hocke gleiten. Der Geruch von Schweiß verfolgte ihn wie die Wolke eines zartherben Männerparfüms.
    »Elias«, wisperte Erik schwach. »Was ist passiert? Wie kannst du schon wieder gesund sein? Du warst fast tot!«
    Elias ergriff liebevoll die freie Hand seines Vaters. Überrascht stellte Natalja fest, dass ihr Bruder die andere von Erik hielt.
    »Der erste Wald hat mich geheilt.«
    Tiefe Gräben furchten Eriks Stirn.
    »Der erste Wald? Was redest du da?«
    »Bruder Elias ist gekommen, um bei uns zu leben«, mischte sich der alte Greis in die Unterhaltung ein. »Der Hain hat ihm ein zweites Leben geschenkt. Dein Sohn hat sich für den Dienst im Orden entschieden.«
    Ungläubig lauschte Natalja den Worten des Mönches. Ihr Kopf zuckte dabei zu ihrem Freund herum.
    »Bruder Elias?« fragte sie zweifelnd. »Habe ich richtig gehört?«
    Elias nickte nur.
    »Ja, mein Großvater hat Recht. Als ich im Koma lag, hat mir der Hain das Leben gerettet und mir die Wahrheit gezeigt. Er hat mich geheilt und hierher geschickt. Jetzt bin ich hier.«
    »Du glaubst ihm also diese Geschichte mit dem Kollektiv, der Wende und dem ganzen Quatsch?« Die Fassungslosigkeit seines Vaters war nicht zu überhören.
    Erneut bejahte Elias mit einem Nicken.
    »Es ist die erbarmungslose Wahrheit. Ich habe meinen rechten Weg erkannt und weiß nun, wo ich hingehöre. Hier ist mein Platz. Hier habe ich eine Zukunft. Genauso wie Natalja und Alexander.«
    Ein Schauder ließ Eriks Körper erzittern. »Ich werde dich nicht umstimmen können, oder? Genauso wenig wie mit deinem Biologiestudium damals.«
    »Nein.« Eine Entschiedenheit lag in diesem einen Wort, die Natalja noch nie in Elias Stimme gehört hatte. Schon gar nicht gegenüber seinem Vater.
    Eriks blasses Gesicht nickte verstehend. Natalja sah, wie sich Eriks Hand fester um Elias Finger schloss. Er litt scheinbar starke Schmerzen.
    »Mir ist so verdammt kalt, Elias. Ich glaube, der Tod greift nach mir. Tust du mir einen letzten Gefallen?“
    »Was immer du willst.“
    Ein mattes Lächeln legte sich über die fahlen Gesichtszüge des Mannes, obwohl seine spröden Lippen bebten. Es war ein schwaches Lächeln, nur ein Geist seines früheren, kraftvollen Ichs, ein Hauch von Belustigung, mehr müde und überaus melancholisch.
    »Pflege bitte das Grab von Laura Voigt«, sagte er. »Geboren am … am 13. Mai 1960 und gestorben am 29. Juli 1978. Das Grab ist auf dem hiesigen Friedhof.« Die Silben kamen nur noch einzeln. Ein Hauch von Dampf stieg von Eriks Lippen in den Himmel. »Sie hat es verdient. Versprichst du es mir?«
    Ein Kräuseln ging über Elias Stirn. »Ja, Vater, ich werde mich darum kümmern. Aber wer war Laura Voigt?«
    Erik schloss für
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