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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz
Autoren: Timo Leibig
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zwei Schritte zurück. Die Pistole fiel ihm aus den Händen.
    Ungläubig starrte Alexander auf die beiden Männer, die wie Synchronschwimmer gleichzeitig zusammenbrachen. Die Luft um ihn herum war mit einem Mal klirrend kalt, aber ansonsten spürte er nichts. Kein markerschütterndes Reißen, keinen Schlag, keine Schmerzen. Nichts.
    Er hatte erwartet, dass Raphael seine eisige Macht auch gegen ihn entfesseln würde, aber scheinbar hatte Eriks Kugel ihn vorher tödlich getroffen. Oder war er vielleicht doch von Reimunds Macht erwischt worden? Offenbar nicht.
    Als sich seine Schockstarre einen Bruchteil einer Sekunde später löste, trat Alexander einen wackeligen Schritt auf den am Boden liegenden Mönch zu. Seine Beine zitterten plötzlich und wollten ihn nicht mehr tragen. Trotzdem zwang er sich, stehenzubleiben und hinzuschauen. Doch was er sah, vertrieb alle Zweifel. Bruder Raphael war tot. Sein Kopf war stark zur Seite gedreht, die glasigen Augen offen und gebrochen. Die Hälfte seiner Schädeldecke fehlte, war nur noch blutiger Brei.
    Von ihm drohte kein weiteres Aufbegehren mehr, wie man es aus den Hollywoodstreifen kannte.
    Da von Raphael keine Gefahr mehr ausging, fuhr Alexander hastig zu Erik herum. Er ließ sich neben ihm auf die Knie fallen.
    »Er hat seine Kraft gegen mich entfesselt«, wisperte Erik. Er atmete noch und seine Augen suchten die Alexanders, doch sein Aussehen erschreckte den Raben zutiefst. Sein Gesicht war so weiß wie der Schnee und Eiskristalle glitzerten darauf. Der Schatten unter Eriks Augen schien beinahe schwarz zu sein, die Lippen blau. In seinen Augenbrauen und Wimpern hingen Schneeflocken.
    »Und du hast ihn dafür erschossen«, flüsterte der Rabe.
    Ein Lächeln huschte über Eriks Gesichtszüge. »Dann hat er endlich bekommen, was er für Lauras Tod verdient hat. Aber nun geh. Rette dich und deine Schwester!«
    Bevor Alexander antworten konnte, hörte er dumpfe Schritte heranstürmen. Als er aufblickte, sah er Natalja mit vor Sorgen verzerrter Miene aus dem Kreuzgang stürzen, gefolgt von einem greisen Mönch.
    Unauffällig packte Alexander seine Pistole fester, hielt sie schussbereit.
    Als das ungleiche Paar fast heran war, drehte Erik langsam den Kopf zu ihnen. Seine Augen weiteten sich, als wäre ihm ein Geist erschienen.
    »Du bist tot!« hauchte er entsetzt. Sein Atem stieg als grauer Dunst in die Nacht auf.
    »Was redest du da?« heulte Natalja und ließ sich an Eriks Seite in den Schnee fallen.
    Erik schüttelte leicht den Kopf. Der Ausdruck heftiger Schmerzen zuckte um seine Augen herum.
    »Nicht du, sondern er!«
    Verwirrt blickte Alexander zu dem alten Mann auf. Natalja tat es ihm gleich.
    Der Alte im Mönchsgewand war still neben Erik stehengeblieben, die Hände in seinen weiten Ärmeln verschränkt. Eine Kruste aus Eis bedeckte den wollenen Stoff.
    »Du irrst, mein Sohn«, sagte der Mönch. »Ich lebe schon lange hier.«
    »Das kann nicht sein!« stöhnte Erik und ein Schauer ließ ihn zittern. »Ich habe dich selbst beerdigt!«
    Alle Augen ruhten nun auf dem Greis. Dieser starrte mit gemeißelter Miene zu Erik herunter. Alexander hatte trotz des Pokerfaces den Eindruck, dass unter der Maske aus Emotionslosigkeit tiefer Schmerz pulsierte. Er sah das Augenlid des Mannes hektisch zucken.
    »Hast du das wirklich, Erik?« wollte der Mann wissen. »Hast du mich beerdigt oder einen hölzernen Sarg? Hast du meinen leblosen, erkalteten Körper darin gesehen?«
    Erik Ritter schluckte schwer, was ihm sichtlich Mühen bereitete. Alexander spürte wie Eriks Hand die seine suchte und sich um seine Finger schloss. Sie waren kalt wie Vogelknochen.
    »Nein«, hauchte Erik. »Ich habe dich nicht mehr gesehen und es hat mir das Herz zerrissen. Du … du warst also all die Jahre hier? Hast mich in einer grausamen Lüge leben lassen?« Erik schnappte nach Luft. »Wie herzlos konntest du nur sein, Burkard? Mich drei Jahre nach Marias Tod auch noch zu verlassen. Erst Mutter, dann drei Jahre später Maria und nochmals drei Jahre später du. Ihr habt mich alle mit Elias alleine gelassen! Alleine!«
    Burkard Ritter seufzte tief und innig. »Es ging nicht anders, Erik. Auch in meiner Brust schlägt ein grünes Herz. Ich konnte nicht anders. Ich musste dem Ruf folgen und du hättest es nie verstanden. Es war die einzige Möglichkeit zu gehen und glaube mir, meine Seele ist dafür durchs Feuer gegangen. Dass du einen leeren Sarg beerdigen musstest, wollte ich nie. Aber wir mussten im
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