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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Decke, ein Bild darauf, mit dem Antlitz des Herrn. So traurig hatte Amadeus ihn nie zuvor gesehen.
    Das Leben des jungen Pharaonenhundes stürzte wie ein baufälliges Haus in sich zusammen, und er verlor das Bewusstsein.
    So wurde seine Welt für kurze Zeit wieder friedlich und ruhig.
     
    Der Sturm legte sich. Immer weniger Schneeflocken fielen, und irgendwann trafen die letzten tänzelnd auf die weiße Decke, in der sie geräuschlos verschwanden. Der Griff desMannes war schwach geworden, doch das war es nicht, was Giacomo nun aufstehen ließ. Es war ein neuer Duft, der sich in der Kühle wie das warme Rot eines Sonnenaufgangs erhob, immer heller und wärmer werdend. Es war ein Duft, der Giacomos Leben ausmachte, der ihn vom Welpenalter an begleitet hatte, durch alle Leiden hindurch.
    Dieser Duft war seine Heimat.
    Es war das Aroma der weißen Trüffel des Piemont. Der Duft war gleichzeitig grazil und kraftvoll, fein und wunderbar würzig. Er züngelte lockend in Giacomos Nase und zog ihn Schritt für Schritt näher zu sich. Den Obdachlosen hatte Giacomo bereits vergessen.
    Doch etwas anderes schob sich in sein Blickfeld, während er sich unwiderstehlich der Königin aller Pilze näherte. Ein einzelnes erleuchtetes Fenster. Es gehörte zum Westtrakt des Schlosses. Isabella schaute heraus, ihr Blick suchend. Neben ihr flogen große hellbraune Ohren in die Höhe. Immer wieder. Ab und an auch eine Schnauze. Canini. Nur Niccolò war nirgends zu sehen.
    Giacomo war Isabella nie wirklich nahegekommen. Oder besser: hatte sie nicht nahekommen lassen. Sie war Niccolòs Mensch und Caninis. Zwei Hunde waren doch mehr als genug. Seit den Geschehnissen um Rimella, dem Geheimnis um das Verschwinden eines ganzen Dorfes, der Schlacht mit dem Wolfsrudel, waren sie unzertrennlich. Er war nur bei Isabella, weil Niccolò mit ihr lebte. Irgendwer musste ja auf den dummen Burschen aufpassen. Er selbst brauchte schließlich keine Zuneigung mehr, keine Streicheleinheiten, kein warmes Wort. Nur ein Dach über dem Kopf und ein Schälchen Barolo. Vielleicht brauchte er einmal in der Woche auch noch ein Tramezzino Doppio. Selbstverständlich auch Salami, Schinken, Pasta und Amaretti ab und an. Sowie andere Leckereien. Mehr brauchte er nicht. Außer natürlich Trüffel.
    Wie den, der jetzt seine Nase betörte. Oder die? Es roch zumindest nach mehreren. Der Duft war nicht so präzise und geschliffen wie bei einem einzelnen Exemplar, sondern undeutlicher. Merkwürdig war, dass der Boden nicht passte, zu wenig Kalk, zu viel Gestein für Trüffel. Und trotzdem dieser intensive Geruch! Seine Pfoten trugen ihn schnurstracks zu einem alten Baum, der die Allee säumte, welche zum Schloss führte. Brauner Matsch sprenkelte den Schnee um die Kastanie. Ein großer Wagen musste ihn aufgeworfen haben.
    Der Duft entstammte nicht dem Boden. Er hatte seinen Ursprung höher, am Stamm. Aber dort wuchsen niemals Trüffel!
    Giacomos Nase glitt an der eisigen Borke empor, bis zu einer Öffnung, einem Spalt, an dem der Baum sich weitete.
    Hinter dem alten Trüffelhund erhob sich der Vagabund.
    Der Wind hatte gedreht, und Giacomo konnte riechen, wie er näherkam. Doch sein ganzes Denken konzentrierte sich auf den Fund der Trüffel, nichts anderes interessierte ihn mehr.
    Sehen konnte Giacomo nicht, was sich in der Aushöhlung der Baumes befand. Nur die Spitze eines Pakets erkannte er – auf der sich so gut wie kein Schnee gesammelt hatte. Es konnte noch nicht lange dort liegen. Außen war Plastikfolie, darunter Stoff.
    Und darin? Selbst seine gewaltigen Nüstern schafften es nicht durch den dicken, künstlichen Stoff zu riechen. Doch was am merkwürdigsten war: Das Packpapier war es, das nach Trüffeln duftete. Aber es war nur das Aroma, nur der Geist, die köstliche Frucht der Erde hingegen fehlte.
    Genau hinter ihm stand nun der Vagabund.
    Ein Wagen fuhr im Schritttempo an Giacomo vorbei.
    Der alte Hund sprang hoch und zog das Paket aus dem Stamm.
     
    Niccolò rannte in dem kleinen Zimmer mit den hohen Decken so panisch umher, als wären die Bodenfliesen heiße Herdplatten. Das heißt, er lief so schnell, wie es sein verletzter Vorderlauf zuließ, den Isabella notdürftig geschient hatte.
    Canini sprang unterdessen wie ein Gummiball vor dem Fenster auf und ab. »Nur Schnee«, sie landete wieder auf dem Boden, um sogleich erneut hochzuschnellen, »und Bäume.« Landung. Start. »Kein Schneesturm mehr.« Sie landete wieder und holte Luft. »Ich habe einen Menschen
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