Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo
Autoren: Carsten Sebastian Henn
Vom Netzwerk:
gesehen – aber Giacomo ist nirgendwo. Ihm wird schon nichts passiert sein, er ist doch ein alter Kämpfer!«
    »Ach ja? Reden wir über denselben verfressenen, Wein schlabbernden, ständig schlafenden alten Hund?«
    »Du hast ›grummeligen‹ vergessen.«
    »Macht es nicht besser!« Niccolò wäre am liebsten durch die Mauer gerannt. Er hatte bereits an der Tür gekratzt, die direkt nach draußen führte, doch Isabella hatte ihm nur beruhigend über den Kopf gestreichelt.
    Jetzt tat sie nicht einmal mehr das.
    Isabella machte überhaupt nichts mehr.
    Selbst das Atmen schien sie eingestellt zu haben.
    Sie stand auch nicht länger am Fenster, sondern saß wie erstarrt auf dem wackligen Stuhl. Niccolò stupste sie vorsichtig am Bein. Doch sie bewegte sich nicht. Er sprang auf ihren Schoß, leckte ihr über die Wange. Keine Reaktion. Isabella starrte nur. Stur geradeaus. Ihr Gesicht wie Stein. Seit sie einander getroffen und sich gegenseitig das Leben gerettet hatten, teilten sie eine besondere, sehr seltene Verbindung. Das kleine Windspiel wusste immer, was Isabella fühlte, ihre Gedanken und Worte waren für ihn klar wie Wasser. Doch nun spürte er nur Schrecken. Und wandte seinen Kopf, um dasselbe zu sehen wie sie. Es war der quadratische Kasten in der Zimmerecke, über den Bilder ohne Tiefe flimmertenund der Geräusche von sich gab, die niemals so dunkel oder hell waren, wie die der Welt ringsum. Die Menschen nannten ihn ›Fernseher‹. Viele waren nun darin vor einer Kirche zu sehen. Es waren ganze Massen, und sie drängten hinein. Dann wechselte das Bild, und plötzlich sah Niccolò eine große, dreckige Decke. Auf dieser fanden sich Flecken, welche die Silhouette eines Menschen ergaben. Warum versetzte Isabella das in solch einen Schock?
     
    »Bisher konnte die Spurensicherung der Turiner Polizei keinen Hinweis auf ein gewaltsames Eindringen in den Duomo feststellen. Sämtliche Türen sind unversehrt, die Alarmanlage intakt, es gibt keine Fingerabdrücke, keine Fußspuren, niemand will etwas Ungewöhnliches bemerkt haben. Es scheint, so ein Sprecher der Polizei, als habe sich das schwer gesicherte Sacra Sindone einfach in Luft aufgelöst.«
     
    Niccolò verstand kein Wort. Er stellte sich so auf Isabellas Schoß, dass er mit seinen Körper den komischen Kasten verdeckte, legte den Kopf zur Seite und sah sie mit seinem Leckerli-Blick an. Der brachte sie schließlich immer zum Lachen.
    Er musste doch etwas tun, damit Isabella endlich wieder normal wurde!
    Doch sie schob ihn wütend zur Seite, so dass er das Gleichgewicht verlor und hinunterspringen musste. Er landete ausgerechnet auf seinem verletzten Vorderlauf und heulte auf. Es war, als würde Isabella in diesem Moment erwachen. Bestürzt bückte sie sich zu Niccolò, um ihn zu liebkosen.
    Da krachte die Außentür.
    Sie brach nicht entzwei, doch der Stoß musste kräftig gewesen sein, denn das Blatt der Bautür hing nicht mehrgerade in den Scharnieren, Schnee wehte durch den Schlitz herein. Wieder prallte etwas mit Getöse gegen das Holz, und die Tür schlug der Länge nach in den Raum. Dann ging alles sehr schnell. Ein schneeübersäter Giacomo stürzte herein, eine Rolle mit sich zerrend, panisch blickte er hinaus, seine Pupillen zuckend wie Fliegen vor einem Insektenlicht. Niccolò humpelte zu ihm und half dem alten Trüffelhund, das Bündel ins Zimmer zu ziehen.
    »Wir müssen es Isabella zeigen«, brachte Giacomo nach Luft schnappend hervor. »Sie muss es sehen. Irgendetwas stimmt nicht damit. Und Isabella muss schnell machen, denn die zwei sind hinter mir her.«
    »Wer?« Niccolò blickte hinaus, doch in dem weißen Treiben konnte er nichts erkennen. Das ganze Schloss schien in einem blendenden Strudel verschwunden.
    »Was ist denn hier …?!« Isabella stand plötzlich neben ihnen. Sie stürzte sich auf Giacomo, tastete sein Fell ab, strich über seinen struppigen Kopf. »Geht es dir gut?« Sie drückte ihn an sich.
    Giacomo bellte auf und befreite sich aus der Umarmung. Es gab jetzt Wichtigeres zu tun. Dieses Paket vor ihm duftete nach Trüffel, obwohl es keine enthielt. Und er wollte endlich wissen, warum. Mit seinen Pfoten und Zähnen ließ sich die Rolle vielleicht zerfetzen, doch zum vorsichtigen Öffnen brauchte es weiche Menschenhände. Aber Isabella sah sich sein Fundstück überhaupt nicht an, sie hob das Türblatt auf und lehnte es gegen den offenen Rahmen, denn der Winter versuchte unablässig, ins Haus einzudringen, sandte eisigen Wind
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher