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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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dieses Stück Stoff vom Sindone stammen musste. Niemand hatte ihm erzählt, dass seine Meute im Besitz davon war. Das Tuch selbst befand sich in einer Metallkiste hinter Glas, nur wenige Schritte entfernt.
    Nara verschwand wieder, doch noch immer blieben die Häupter gesenkt. Dann erklang die Glocke des mächtigen neben dem Duomo stehenden Turms. Sie ertönte nur für ihn. Sein Vater und sein Onkel mussten all die Stufen hochgelaufen sein, um sie zu läuten. Nun begann die Meute zu heulen, ein Concerto furioso. Sie erhoben sich und traten zu Amadeus in die Mitte. Viele gute Wünsche wurden ausgesprochen, weise Worte gesagt und allerhand Albernheiten von seinen Wurfgeschwistern. Dann begaben sie sich in einer stillen Prozession durch den verschlungenen Gang hinausvor das Hauptportal des Duomo. Zu dessen Linken war ein Stein im Boden eingelassen, der sich durch nichts von den anderen unterschied – außer durch seinen speckigen Glanz. Unzählige von Amadeus’ Ahnen hatten hier gelegen und ihren Dienst verrichtet. Er ließ sich darauf nieder, der Stein fühlte sich beinahe weich an. Und der eisige Wind schien genau um diese Stelle einen Bogen zu machen.
    Ohne einen einzigen Blick zurückzuwerfen, verschwand die Meute im Dunkel Turins. Amadeus hatte seine Aufgabe erhalten.
    Und würde sie bis zum Ende seiner Tage erfüllen.
     
    Am nächsten Morgen brachen sie früh auf. Die Schneedecke hatte über Nacht weiter an Volumen gewonnen, als hätte sie jemand wie eine Bettdecke aufgeschüttelt. Zuerst schritten sie ruhig und langsam voran, dicht beieinander, wachsam. Doch schon nach kurzer Zeit schienen Niccolò und Canini das Ganze für einen netten Ausflug zu halten.
    »Müsst ihr denn gerade jetzt ausprobieren, wie tief ihr eure Schnauzen in den Schnee stecken könnt?«, herrschte Giacomo sie an. »Meint ihr, die Wölfe finden das lustig?«
    Niccolòs Kopf lugte hervor, die Schnauze wie mit Puderzucker bestäubt. Er schüttelte sich aus und sprang in Richtung des alten Freundes und Beschützers – trat dabei jedoch unglücklich auf einen großen Kiesel, der vom tiefen Schnee bedeckt gewesen war. Er jaulte auf, warf sich auf die Flanke und leckte wie wild über seinen rechten Vorderlauf. Schmal und dürr war dieser, wie bei allen Windspielen. Schließlich versuchte er, den Schmerz loszuwerden, indem er mit dem Bein heftig austrat. Doch dadurch wurde er nur noch schlimmer. Isabella rannte gleich zu ihm, Canini lief hilflos im Kreis um beide herum.
    Sie mussten ihn zurückbringen, einen Arzt rufen, ihn pflegen.
    Giacomo würde alleine weitergehen. Denn ausgerechnet jetzt hatte er einen Schemen im Wald entdeckt. Ein lauerndes Grau, das sich einen großen Stamm zum Verweilen ausgewählt hatte und sogar klug genug war, sich so in den scharfen Wind zu stellen, dass kein Duft zu Giacomo gelangte.
    Der alte Trüffelhund entschied sich, einen Bogen zu schlagen, der ihn genau hinter diesen Stamm bringen würde.
    Und er beschloss, den aufkommenden Schneesturm einfach zu ignorieren. Leider ignorierte dieser auch Giacomo. Innerhalb kürzester Zeit nahm der Sturm an Stärke zu, und Giacomo musste immer häufiger die Augen zusammenkneifen und den Kopf aus dem Wind drehen. Wenn Wölfe hier lebten, würden sie sich nun zusammenkauern. Und sie würden ihn nicht erwarten. Es war der beste Moment für die Suche. Während der Schnee wütete, erstarrte die Welt – nur Giacomo nicht.
    Er schlich auf das lauernde Grau zu.
    Es befand sich genau hinter dem Stamm vor ihm. Die Form ähnelte jedoch nicht der eines liegenden Wolfes, zu mächtig war sie dafür.
    Der durch die Luft wirbelnde Schnee stach wie Nadelspitzen in Giacomos Nase. Doch was ihn viel mehr schmerzte, war, dass er in dieser Kälte nichts riechen konnte. Lieber wäre es Giacomo gewesen, man hätte ihm die Augen verbunden. Ohne Düfte war die Welt karg, die Bäume wirkten leer, der Boden ausgehöhlt, alles schien sich vor Giacomo in etwas Fremdes zu verwandeln.
    Ein weiterer Schritt. Der Schemen gewann an Kontur, trat förmlich aus dem wirbelnden Weiß heraus.
    Und bewegte sich.
    Giacomos Pfoten sanken tief in den Schnee, der sich an einer Bodenwelle gesammelt hatte. Er huschte hinter den Stamm, an dem das Weiß bereits klebte wie ein wuchernder Schimmelpilz.
    Der Schemen schnaufte. Tief und unwirsch. Doch selbst dieses Geräusch gab Giacomo keinen Aufschluss darüber, um welches Tier es sich handelte. War es ein Wildschwein, dann musste es verletzt sein, sonst würde es sich kaum
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