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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser
Autoren: László Darvasi
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feilschen. Man beschnitt Obstbäume, verbrannte Laub, harkte. In verhängnisvollen Situationen wie diesen paart sich die Hoffnungslosigkeit mit provozierender Nachlässigkeit, die Furcht sucht den Rausch, manche flüchten in hemmungslose Gelage, andere in Orgien, doch diese Tage waren anders. Die Theiß hatte die Stadt schon so oft bedroht und das Todesurteil über ihren Dächern entrollt, dass die Menschen, obwohl sie das Unheil ernst nahmen, nicht daran glaubten. Sie glaubten nicht wirklich, dass ihr Heim, ihr Leben zerstört werden könnte. Unterdessen arbeiteten Freiwillige fieberhaft an den brüchigen Dämmen, unterstützt von Pester Studenten und abkommandierten Soldaten, die Szegeder aber packten lieber zusammen, stopften die Schätze ihres Lebens in riesige Holzkisten, träumten, backten, lamentierten. Natürlich gab es auch manche, die klüger waren und flohen, doch die Mehrheit tat so, als ob der Schatten über ihnen vorüberziehen könnte.
    Am Ende der Kárász-Straße ließ ein kleines Kind Drachen steigen, der vorbeieilende Franziskanermönch hörte betroffen, was es dem Drachen zurief.
    Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?!
    Klara behielt selbst in diesen Tagen die Gewohnheit bei, die sie nach der Freilassung Imres angenommen hatte, nämlich zur Post zu gehen und ein Telegramm an ihn aufzugeben. Sie sah ihm zu gern dabei zu, wie er den gerade eingetroffenen Umschlag aufriss und überlegte, den Blick zu ihr hob und sie musterte, nach dem Sinn der Botschaft forschte, ihr in die Seele sehen wollte. In den Mundwinkeln ein bitteres Lächeln, nein, so etwas, wirklich, so meinst du das, Klara?, woraufhin er in der Wohnung herumging und das Telegramm schwenkte, nein wirklich, und aus dem Staunen nicht mehr herauskam.
    An dem Tag, als Peter sich von Berger das Boot holte, wurden aus Szeged viele Telegramme verschickt. Es geht uns gut, keinGrund zur Beunruhigung, wir vertrauen auf den Allmächtigen, Gott wird uns helfen, was hätten die Menschen sonst schreiben sollen. Klara stand lange in der Schlange, sie blätterte in einer Zeitung, weshalb einige Damen hinter ihr entrüstet tuschelten. Sie lächelte nur darüber, und als sie bei dem grün gestrichenen Holzrahmen angekommen war, gab sie den Text des Telegramms ab. Der Postbeamte überflog die Nachricht, blickte aber lange nicht auf, er begann zu stempeln, die sich vermehrenden Stampiglien vor ihm sahen aus wie Wunden, wie Wunden! Doch der junge Mann stempelte viel zu fleißig. Schließlich sah er doch hinter seinem Zwicker hervor und brachte unter Geräusper heraus, weiß der Himmel, warum, doch ich habe noch nie ein Telegramm bekommen.
    Klara sah ihn entgeistert an, nein?!
    Nein, der junge Mann senkte den Kopf.
    Ausgerechnet derjenige, der diese neue Art der Benachrichtigung abwickelte, sollte an diesem Wunder nicht teilhaben?! An ihr würde es nicht scheitern, Klara geriet in Feuer und griff rasch nach einem neuen Telegrammformular. Sie kritzelte ein paar Zeilen hin und fragte nach Namen und Adresse, danach, an wen sie es schicken dürfe.
    Wieso an wen?!
    Wer sind Sie denn?!, lachte Klara, als wüsste sie es nicht.
    Ich heiße Kigl, Jenő Kigl, stotterte der Mann hinter dem grünen Holzrahmen und fügte hinzu, dass er in der Türkischen Hauptstraße wohne, wie vor ihm schon sein Vater und sein Großvater. Klara wurde rot, dann blass, Ihr Vater, was ist mit Ihrem Vater?
    Er hat eine Rechtsanwaltskanzlei in Wien.
    Klara begann zu lachen, was … was ist daran so lustig, stotterte Jenő Kigl.
    Einmal hat mir Ihr Vater den Hof gemacht!, antwortete Klara und hielt Kigl das Formular vor die Nase. Kigl las es erst einmal, dann noch einmal, er sah es nur an, schloss die Augen, danke, sagte er, vielen Dank!
    Imre war auf dem Friedhof gewesen, sie hatten auf dem Deszkás-Friedhof in der Oberen Stadt eine Grabstelle erworben, auf ihrem zukünftigen Grab war die Erde ordentlich geharkt, das Unkraut ausgerissen, Rosenbüsche und Efeuranken neigten sich über den Hügel. Auf dem Heimweg folgte ihm verstohlen ein verrücktes Mädchen, sie war nicht jung, aber mädchenhaft geblieben, die Zeit hatte sich in ihrem Körper geirrt.
    Sie konnte nicht sprechen, nur singen.
    Sag, Struwwelmadonna, stirbt alles?
    Das Mädchen summte, schüttelte den Kopf, la, la, lala.
    Sag, Struwwelmadonna, hast du schon einen Bräutigam?
    Sie kicherte, spuckte aus, sang, la, la, lala.
    Sie weinte, drehte sich, sang, lala, lala.
    Imre nickte und ging weiter, Struwwelmadonna folgte
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