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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser
Autoren: László Darvasi
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in ihrem Tod leben sie, und wann immer möglich essen sie Blumen.
    Karl Bischof k. u. k Kriminalkommissar

    Wenn ich heute verloren gehe, stop, bitte ich Sie, stop, mich doch morgen, stop, unbedingt zu retten, stop!
    Klara Schön

11. März 1879
    Herr Schütz steht im Wasser, graue Wellen lecken an seinen Schuhen. Ein Soldat im Pelz späht von der Eisenbahnbrücke, er betrachtet dasselbe wie alle, den bedrohlichen Fluss. Die Theiß spielt Ozean, die Stadt ist zur Insel geworden, inmitten eines Wasserspiegels, der mit dem Himmel verschmilzt. Der Doktor krächzt in den Wind, lacht heiser, sein Schal flattert und flattert. Den Lodenmantel hat er wie gewöhnlich falsch geknöpft, seine schneefarbenen Haare sind vom Wind verstrubbelt, sie kleben an der rosigen Kopfhaut. In der Nähe packen Soldaten Kisten und Säcke, andere sind auf dem Damm mit den Zelten beschäftigt, starke junge Männer, seit Tagen ohne Schlaf, zermürbt, gereizt, mit geröteten Augen und zentnerschwerer Müdigkeit auf den Schultern.
    Was haben Sie gesagt, Herr Schütz?!
    Was krakeelen Sie da, sehen Sie wieder nichts?
    Blind, blind ist er, aber schon wieder hat er hertorkeln müssen!
    Der Alte schnuppert in den Wind. Gleich läuft sie über, gleich sind wir klatschnass!
    Die Theiß wird nicht überlaufen, Herr Schütz!
    Sie begräbt alles unter sich, auch dich, Dummkopf!, kreischt der alte Mann.
    Sie sind eine alte Krähe, Herr Schütz! Ein Unheilsbote! Bringt mich nach Hause!, befiehlt der Alte, als besäße er auch nur ein Fünkchen Autorität.
    Wohin, Herr Schütz, wohin?!
    Ihr seid Hornochsen, ihr ertrinkt!
    Herr Berger, Herr Berger!, rufen die Burschen, der alte Idiot hier schnappt mal wieder über. Ohne eine Antwort abzuwarten, bugsieren sie ihn den Damm hinunter. Doch dann dauert es ihnen zu lange, sie heben ihn wie ein Kissen in die Höhe und tragen ihn.
    Wie alt sind Sie, Herr Schütz?
    Doppelt so alt wie dein bescheuerter Großvater!
    Setz den verrückten Alten in den Schlamm, soll er seine Faxen machen mit wem er will!
    Na, Herr Schütz, wie ist es dort unten?
    Kalt, stammelt der Alte, mir ist kalt! Er hockt tatsächlich im Schlamm.
    Wissen Sie immer noch nicht, wie alt Sie sind?
    Woher denn, wenn ich mich nicht erinnere?!
    Unsinn! Man weiß immer, wie viele Jahre man sich unter dem Himmel abgestrampelt hat! Schön aufpassen, ich hebe Sie wieder hoch, dass Sie sich nicht einscheißen!
    Hört mal her, ihr Taugenichtse, es gibt Geschichten, die in dem Augenblick enden, in dem sie begonnen werden, aber beginnen, sobald sie zu Ende gehen!
    Klar, Herr Schütz, für Sie ist es sicher gleich zu Ende!
    Aber dann beginnt es unten in der Erde!, lachen die Burschen.
    Der alte Mann schreit, dass der Speichel spritzt: Man erschafft keine Legenden, um dann an ihnen zugrunde zu gehen!
    Die Legenden leben, sie leben!
    Schnauze, Schütz, oder wir werfen Sie weg wie ein Stück Holz!
    Der Alte hört nicht auf, wird aber immerhin leiser.
    Ach so, ich bitte euch, natürlich plündern und morden die Legenden! Doch wen eine Legende ausplündert, der wird von einer anderen belohnt. Wen eine Legende umbringt, den lässt eine andere wiederauferstehen! Ist es nicht so, ihr mittelprächtigen Hurensöhne, ihr Taugenichtse!?
    Die Burschen murren, doch sie tragen den Alten wie ein Neugeborenes. Herr Schütz hat kein Gewicht, der ganze Mann besteht nur noch aus ein paar klappernden Knochen, schlabbernder Haut und gellendem Geschrei.
    Nun erreichen sie das Haus im Palánkviertel, wo er wohnt, in der Nachbarschaft von getauften Juden, Armeniern und Serben, doch die Häuser sind jetzt stumm, wer hier gewohnt hat, ist geflohen oder fortgezogen oder hat seine Familie in der Burg in Sicherheit gebracht. Die jungen Männer mühen sich mit dem riesigen Schloss ab, einer sieht sich um, schnüffelt, schüttelt den Kopf, sein Kamerad, der Versuche überdrüssig, tritt das Tor ein. Der Alte brabbelt unablässig.
    Ich sage euch doch, wir sind verloren!
    Das scheint Sie zu freuen, Herr Schütz!
    Flieht, Jungs! Ich zeige euch den Weg!, gestikuliert der Alte.
    Halten Sie die Schnauze, sonst lassen wir Sie hier sitzen!
    Die Männer drängen sich in den Korridor und trauen ihren Augen nicht.
    Was ist das für ein Tohuwabohu?!
    Ihr seid doch nicht etwa blind?, kichert der Alte.
    Natürlich nicht! Was wir sehen: Kisten, Kartons, seltsame Säcke!
    Im Korridor stapeln sich unzählige Holzkisten, kleinere aus Fichtenholz, gewaltige, angestrichene Reisekästen, Säcke, Kisten mit Schlössern,
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