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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser
Autoren: László Darvasi
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wurde ein besonders hoher Wasserstand gemessen. In der Stadt breitete sich die Angst aus, der Händler Sigic in der Schulstraße brüllte, sich aus dem Fenster lehnend, etwas vom nahenden Jüngsten Tag. Nach kurzem Gerangel gelang es, auch ihn ins Krankenhaus zu bringen, in letzter Zeit hatte er seinen verwirrten Gemütszustand mehrmals unter Beweis gestellt, einige Tage zuvor Theißwasser in Rotweinflaschen zum Verkauf angeboten, man konnte in Raten zahlen.
    Am zweiten März trafen Soldaten in der Stadt ein und legten im Bereich vor dem Rathaus genau einundzwanzig Pontons. Die schwarzen Boote wirkten wie Särge. Auf dem Hauptplatz, der sogenannten Spuckmeile, wurde nicht mehr Pfeife geraucht,auch die Umgebung war verlassen. Die Kaffeehäuser waren natürlich noch geöffnet, besorgte Rufe, optimistische Phrasen drangen ins Freie, und dann erklangen zum x-ten Mal die Gläser. Doch seit Tagen wurde nicht mehr promeniert, weder auf dem Széchenyiplatz noch in der Kárász-Straße, Damen und Kavaliere waren verschwunden.
    Seltsame Sendungen trafen bei Herrn Schütz ein; andere seiner Schätze, Maschinen und Geräte, wurden nach und nach abgeholt. Der Doktor ernährte sich seit Jahren von Zwieback, den er in Likör tunkte, doch vor einigen Tagen ließ er sich im Kaffeehaus Hungária blutigen Lendenbraten zerkleinern und löffelte ihn wie ein Säugling den Brei. Die Köche sahen zu, in ihren fleckigen Schürzen versammelten sie sich bei der Durchreiche, und als der Alte fertig war, klatschten sie. Man hätte meinen können, er lasse seine Habe aus Vorsicht wegbringen. Doch warum verschickte er gerade die Lupen nach Madrid und nach Hamburg die Mineralien und Kristalle?! Warum sandte er seine älteste Fotomaschine nach Pressburg?! Es geschah noch in den ersten Tagen des März, dass der junge Briefträger neben einer solchen vielleicht aus Sarajevo kommenden Kiste einschlummerte, den Kopf auf dem Deckel, und gar nicht mehr aufwachen wollte.
    Der Doktor trennte sich von sämtlichen Mineralien und Steinen und von seinen Instrumenten, den Sanduhren, den Pendel- und Kuckucksuhren, vom Meißener und Herender Porzellan, von den Thermometern und Luftdruckmessern, den Zwickern und Guckern, von den Kupferstichen und Aquarellen. Er trennte sich auch von seinen vier Fotomaschinen, von denen er drei in Kindersärgen nach Berlin schickte, und er trennte sich von seinen Vergrößerungsgläsern, den chirurgischen Messern, seiner Sammlung an Reflexhämmern, der Spazierstockkollektion, seinem Arsenal an Hüten, von den Stempelwalzen, Zigarettenspitzen, Zigarrenschneidern, er entledigte sich seiner Wind- und Reliefatlanten, der Blumenlexika und Anatomien, der Reisebücher, der philosophischen Reihen und der Gedichtbände,er ließ zu, dass Petőfi, Heine, Homer und Goethe fortgebracht wurden.
    Schließlich stürmte Peter Schön in die Stadt, ließ Likörgläser auf den Fingerspitzen tanzen, fing Spatzen und rasende Hunde ein und beruhigte wilde Tiere mit seinem Blick. Er schrie, wo wenn nicht hier sei sein Platz, eine gescheiterte Existenz gehöre nirgendwo anders hin! Er hatte nicht einfach Geld, sondern er war reich. Zumindest behauptete er das. Bald hatte er sich mit Herrn Schütz geeinigt, von da an verhandelte er für ihn mit Postämtern und Mietkutschern, die Fuhrleute bezahlte oder bedrohte er, hielt ihnen seine Fäuste unter die Nase und gab ihnen auf diese Weise zu verstehen, dass er es übelnähme, wenn der Betreffende etwas von der jeweiligen Sendung abzweigen würde. Nur eine Winzigkeit störte den Doktor, die aber wurde ihm immer lästiger. Peter brüllte sehr oft und völlig unberechenbar mit tierischer Stimme auf, woran sich übrigens auch Imre und Klara absolut nicht gewöhnen konnten, der Höllenlärm brach häufig mitten in der Nacht oder beim Frühstück, während eines Gesprächs oder auf einem Spaziergang aus ihm heraus. Peter hielt sich brüllend die Seite, über seine Schläfe zog sich ein Netz von Adern, die zu platzen drohten, und er kümmerte sich nicht im geringsten um den in der Ecke zitternden Postangestellten, den seine Harnblase ganz einfach im Stich ließ. Hinterher tröstete er den durchnässten Burschen, umarmte ihn, dass die Knochen krachten, wartete nach Dienstschluss auf ihn und machte ihn dermaßen betrunken, dass die Patrouille sie am Ufer in einem Rettungsboot fand. Einander anfeuernd zogen sie die Ruder über die Erde und riefen den Soldaten zu, dass leider niemand mehr einsteigen könne, die Herren
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