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Blumen fuer Zoë

Blumen fuer Zoë

Titel: Blumen fuer Zoë
Autoren: Antonia Kerr
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Vogelspinne fresse gerade ihre Füße auf. Als ich das Licht anschaltete, lag das arme Vieh reglos am Boden, die Zähne ragten blutig aus dem Mund. Charlie Chaplin stürzte sich auf das Tier und wollte spielen; Zoë brüllte ihn an, er solle damit aufhören.
    Â»Glaubst du, er ist tot?«, fragte sie mich.
    Â»Nein«, antwortete ich, »ich denke, er ist bloß bewusstlos.«
    Sie nahm das Tierchen in die Hände und hielt es wie eine Pietà.
    Â»Ach, ich fühle mich so schuldig! Sag mir bitte, dass er noch am Leben ist!«
    Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass ich eines Tages einem Biber den Puls messen würde. Zoë schlug vor, ihm Wasser zu geben, aber sie kannte sich mit Bibern nicht aus; er musste sich erst von den Tritten erholen, die sie ihm versetzt hatte. »Armes Tier!«, murmelte sie unablässig vor sich hin. Als ich den Biber im Wald freilassen wollte, flehte Zoë mich an, ihn behalten zu dürfen, mit dem Argument, er sei zu schwach, um in der Natur zu überleben.
    Â»Und was, wenn ein Krokodil dich in die Füße beißt, würdest du das dann auch behalten wollen? Jetzt reicht’s, Zoë, es gibt bereits Charlie Chaplin, du bringst ja noch das weltweite Ökosystem in Gefahr.« Sie bedachte mich mit ihrem traurigen Hundeblick, was mich fertigmachte. Was für ein launisches Kind hatte ich mir da bloß eingehandelt … »Also gut, wir halten ihn unter Beobachtung, bis er sich wieder berappelt hat. Aber dann ist Schluss, hörst du?«
    Â»Versprochen!«
    Wir setzten unsere Reise fort, und im Auto versuchte Charlie Chaplin wie ein Wilder, ein Stück Biber zu ergattern. »Ich habe ein Monster hervorgebracht«, seufzte Zoë mit Blick auf den Kater, und ich sagte mir, dass ihre Tierliebe weit über das normale Maß hinausging. Obwohl ich abgekämpft war, schaffte ich es noch bis zur Grenze von Wisconsin, wo die Zollbeamten Zoë mit einer Mischung aus Misstrauen und Verlangen anschauten. Ein verrostetes Schild hieß uns in den Vereinigten Staaten von Amerika willkommen, und Zoë rief aus, sie sei froh, wieder zu Hause zu sein. »Ich auch«, stimmte ich zu, ohne genau zu wissen, von welchem Zuhause sie sprach.
    Ich zuckte nicht mit der Wimper, als Zoë mich nicht ohne Stolz wissen ließ, sie habe soeben den Biber im Michigansee getauft. Noch weniger erstaunt war ich über den Namen, den sie für ihn ausgesucht hatte: Fidel Castor. Sie trug ihren silberfarbenen Bikini, und angesichts ihrer Hüften im Gegenlicht hätte ich heulen mögen. Seit drei Tagen waren wir nun schon mit dem langzahnigen Tier unterwegs, und ich ahnte, dass wir uns nicht so bald von ihm trennen würden. Als ich Zoë fragte, was sie zu dieser Namenswahl bewogen habe, erwiderte sie mit einem Achselzucken, Fidel Castor höre sich mehr nach einem Biber als nach einem Diktator an. Dann ging sie wieder mit dem Tier im See baden. Renato hatte einmal zu mir gesagt, alle Tiere seien per se wild, selbst Hunde und Katzen, und dass alle ebenso zähmbar wie unberechenbar wären. Als Beispiel führte er einen seiner Freunde in Santa Clara an, der angeblich mit zwei Tigerinnen in völliger Eintracht lebte. Doch am merkwürdigsten an der ganzen Sache war vermutlich, dass Charlie Chaplin aufgehört hatte, den Biber aus der Perspektive des Fleischfressers zu betrachten; inzwischen waren die beiden sich in brüderlicher Liebe zugetan.
    Ich hatte mich entschlossen, nach New York zurückzukehren, aber ich befürchtete, dass Zoë sich nie an das Stadtleben gewöhnen würde, fernab ihres farbenfrohen und zuckersüßen Universums – mehr und mehr stimme ich der Theorie meines Vaters zu, nach der man immer wieder an den Ort zurückkehrt, an dem man aufgewachsen ist. Fidel starb drei Tage nach seiner Adoption, als wir uns gerade in der Nähe von New Hampshire befanden. Zoë war untröstlich, trotz der aufmunternden Worte, die ich an sie richtete: »Du weißt doch, mein Schatz, dass Biber und Menschen nicht gut miteinander auskommen«, »Du weißt doch, mein Schatz, dass das vorherzusehen war«, »Du weißt doch, mein Schatz, du hättest ihm besser keine Katzenkroketten zu fressen geben sollen.« Ihr Schmerz übertrug sich auf Charlie Chaplin – auch er schien um seinen Kameraden zu trauern, was mich über tierische Freundschaften nachsinnen ließ. Zoë trug zwei Tage lang
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