Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blumen fuer Zoë

Blumen fuer Zoë

Titel: Blumen fuer Zoë
Autoren: Antonia Kerr
Vom Netzwerk:
europäischer Schriftsteller, sie hat eine Unmenge von Zitaten auf Lager, ihr Gedächtnis quillt regelrecht über, und wenn sie mich nicht gerade auf die Palme bringt, liest sie mir Gedichte von mehr oder weniger bekannten Schriftstellern vor – aus Kuba und von den Bahamas, ihren beiden Heimatländern. Aber herumgekommen ist sie bisher wenig, und dieses Stück Weg mit mir, wird sie, so hoffe ich, über meinen Tod hinaus prägen – wie ich es hasse, über Details dieser Art nachzudenken! Sie löchert mich mit Fragen zu meiner Vergangenheit, empfindet aber, glaube ich, eine gewisse Verachtung für meine Geschichte, eine typische Haltung der Jugend, wenn es um etwas geht, das ihr lange zurückzuliegen scheint, wie der Krieg oder der Fall der Berliner Mauer.

I
    Unser ewiges Liebesversprechen hatte mich glücklich gemacht. Die ersten Jahre mit Evelyn waren phantastisch gewesen, danach hatte mich die Illusion der Ewigkeit beflügelt, der Paare sich gern hingeben. Im Augenblick verspürte ich keine Lust mehr, in New York zu bleiben; diese Stadt, die ich so sehr geliebt hatte, widerte mich jetzt nur noch an. Evelyn hatte mir, dem Anwalt Bob Sherman zuliebe, vor zwölf Monaten den Laufpass gegeben, und die Aussicht auf diesen Jahrestag deprimierte mich noch mehr als der Anblick der ölverschmierten Möwen auf Discovery Channel.
    Viele meiner Kollegen beim NASDAQ hatten sich ganz plötzlich in die abgeschiedenen Weiten des Mittleren Westens und des Nordens abgesetzt und dort eine neue Gelassenheit inmitten von Hirschen und Angus-Rindern gefunden. War es die Stadt selbst, die sie in die Flucht schlug, oder lag es an der bleiernen Atmosphäre, die sich seit dem Flugzeugattentat über sie gelegt hatte? Denn ein Jahr nach dem 11. September hing in New York immer noch Quecksilbergeruch und Staub in der Luft, und die Straßen waren von Männern und Frauen bevölkert, deren Blick eine große Müdigkeit verriet. Auch ich fühlte mich nach einer ungewöhnlich hohen Zahl von Enttäuschungen ausgelaugt und dachte darüber nach, ihnen in die tiefste Provinz zu folgen. Der Tod schien nicht mehr sehr weit weg. Ich strebte allein nach einem fernen, friedlichen Ruhestand, um mich bestmöglich auf das Ende vorzubereiten, so wie ein Athlet sich vor dem Stabhochsprung aufwärmt. Im schlimmsten Fall blieben mir noch zwanzig Jahre, und unter keinen Umständen würde ich sie hier verbringen, wo ich sowieso nur ein Außenseiter war. New York ist die Stadt der Meinungen, des Engagements, der Moral, und ich hatte nichts davon. Ich hatte Geliebte aller Altersstufen und zahlreiche Börsenprämien, die von den Jim-Beam-Flaschen und den Reparaturen an meinem Cadillac Eldorado aufgefressen wurden. Ich gab sehr viel Geld aus. Ich begleitete meine Freundinnen in die Oper und in die Intellektuellen-Kinos am Columbus Circle. Es gehört sonst nicht zu meinen Gewohnheiten, mich an meine Geliebten zu binden, aber eine von ihnen ließ mich schon seit einiger Zeit nicht mehr los: Lena, eine 34 Jahre alte Juristin, zweisprachig Englisch-Bulgarisch und mit einem Harvard-Diplom in Kunstgeschichte. Diese Dinge kann man nicht erklären, es gibt einfach Momente, in denen eine Frau sich von der Masse abhebt, durch ihre Schönheit, ihre Intelligenz oder ein außergewöhnliches Wesen. Lena war die Einzige, die mich nicht nach dem Schlüssel zu meiner Wohnung gefragt hatte, und wieder einmal erfasste mich die Welle der Begeisterung für das Unnahbare, die mich in meinem Liebesleben als Jugendlicher so oft gelähmt hatte. Erst nach der Sache mit Lena habe ich ernsthaft beschlossen zu gehen: Ich würde nicht nur die Stadt verlassen, sondern auch gleich dieses Land, das durch die Anwesenheit Bushs im Weißen Haus langsam unerträglich wurde. Mit meinen 59 Jahren blieben mir nur noch wenige Flecken Erde zu erkunden, jedenfalls auf der Südhalbkugel, was an Evelyn lag, die sich der Sonne und dem Nichtstun verschrieben hatte – und ich habe ihren Marotten immer nachgegeben. Kanada schien mir jedoch ein Land zu sein, das es noch zu entdecken galt und das Evelyn seinerzeit immer unter dem fadenscheinigen Vorwand boykottiert hatte, »sie« würden uns dort hassen. Ich konnte ihr noch so oft beteuern, dass »sie« nicht alle so wären, es war einfach nichts zu machen. Mit ihr hatte ich es nie in diese berühmten Weiten und Wälder geschafft, die im Herbst in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher