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BLUFF!

BLUFF!

Titel: BLUFF!
Autoren: Manfred Lütz
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Menschengeschlechts.
    Seit Platons erschreckender Vermutung ist die Philosophie bis heute keinen Schritt weitergekommen. Auch der Philosoph Immanuel Kant stellte bedrückt fest, dass wir immer bloß Erscheinungen wahrnehmen können, für die wir und unsere Sinnesorgane gebaut sind, und dass wir über die Dinge, so wie sie an sich selbst sind, rein gar nichts sagen können. Tatsächlich fehlen uns Sinnesorgane, um Radiowellen, Röntgenstrahlen und was es da vielleicht noch alles geben mag, überhaupt direkt mitbekommen zu können. Uns ist es also ohnehin nur gegeben, einen winzigen Ausschnitt aus der riesigen, uns umgebenden Welt wahrzunehmen. Möglicherweise haben wir deshalb ein völlig falsches Bild von der Welt, weil wir, verwirrt von unseren zufälligen Eindrücken, das Wesentliche übersehen, das unseren stumpfsinnigen Augen entgeht. Ist also die Welt, die uns umgibt, letztlich nichts anderes als eine bloße Konstruktion, eine weitere dieser künstlichen Welten, die wir uns selbst schaffen, um ohne allzu viel Beunruhigung leben und sterben zu können?
     
    »Wie wirklich ist die Wirklichkeit?«, hatte schon vor mehr als dreißig Jahren der große Psychotherapeut Paul Watzlawick gefragt. Und auch er war zu dem Schluss gekommen, dass die Wirklichkeit aus unseren eigenen Konstruktionen besteht, die wir bei auftretendem psychischen Leiden ein wenig ändern sollten. Es ging nicht mehr darum, ob eine bestimmte Auffassung von der Wirklichkeit wahr oder falsch sei, sondern ob sie mit Blick auf ein bestimmtes psychisches Leiden mehr oder weniger nützlich sei.
    Die Frage nach der Wahrheit stellte sich bei Watzlawick überhaupt nicht mehr. Im Gegenteil, je mehr ein Patient die Depression, unter der er litt, als Wahrheit betrachtete, desto schwerer musste es fallen, diesen handfesten »Gegenstand« therapeutisch in nichts aufzulösen. Zumal dann, wenn der Patient auch noch von »seinen« Depressionen sprach, einem Besitz also, dessen diebische Entwendung gar nicht in Frage kommen konnte. Ist dagegen die Depression bloß eine unter vielen Sichtweisen, unter denen man das Verhalten eines bestimmten Menschen in einer bestimmten Situation zeitweilig beschreiben kann, dann ist ein Perspektivwechsel möglich. Und aus dieser anderen Perspektive kann er seine Situation dann mit einem anderen Wort beschreiben. Wahrheiten sind, so gesehen, in der Therapie wenig nützlich.
     
    Soll das nun heißen, dass es gar keine wahre Welt gibt und also auch keine Fälschung, weil letztlich alles, wirklich alles im Leben bloß Ansichtssache ist? Ist das Gefühl, im falschen Film zu sein, einfach falsch, weil es unterstellt, dass es so etwas wie eine wahre Welt gibt?
    Ist das ganze Leben ein Traum, aus dem wir erwachen, aber dann doch bloß in einen anderen Traum geraten sind, der irgendwann platzt wie eine bunt schillernde Seifenblase? Ist das Leben jedes einzelnen Menschen ein Roman, der bloß noch nicht geschrieben ist und der nicht mehr Realität hat als die Geschichten von Pippi Langstrumpf oder des angeblich so venezianischen Commissario Brunetti in den frei erfundenen Kriminalstücken von Donna Leon?
    Sind die erschreckenden oder beglückenden Momente, in denen wir uns im falschen Film wähnen, bloß Augenblicke der Offenbarung der eigentlichen Wahrheit, dass es Wahrheit gar nicht gibt, dass alles fließt, nichts Bestand hat, und ein privilegierter Traum, der behaupten könnte, die eigentliche Wirklichkeit zu sein, nichts anderes ist als eine Illusion von Menschen, die wahrscheinlich zu wenig oder zu viel nachgedacht haben? Und ist es dann nicht Lebenskunst, sich am besten dem lockenden Strom dieses nicht greifbaren, ewig dahingleitenden Lebens bereitwillig zu ergeben, um nicht durch unsinnige Widerständigkeit gegen das Unerbittliche alptraumhaft in wirren Strudeln für immer zu vergehen?
    Papperlapapp wird da der Metzger antworten, ein Stück Wurst ist ein Stück Wurst, der Zimmermann wird die Realität seiner Balken nicht bestreiten, diese unbezweifelte Realität hemmungslos abrechnen, und der Kunde wird das genauso sehen und anstandslos bezahlen. Philosophen gelten als lebensunpraktische Leute, Therapeuten nicht weniger, und auch Künstler und Kinder hält man von handfesten Geschäften, die mit den harten Realitäten des Lebens zu tun haben und bei denen man am besten sehr ausgeschlafen ist, in der Regel fern. Das ganze Gerede vom falschen Film, ein einziger komplizierter Unfug?
     
    Doch auch Metzger verlieben sich, auch Zimmerleute
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