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Blitze des Bösen

Blitze des Bösen

Titel: Blitze des Bösen
Autoren: John Saul
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oben, bis
Anne Jeffers in seinem Blickfeld erschien. Dann legte er das
Buch auf den Tisch, stand auf und streckte ihr die Hand durch
das Gitter entgegen.
    Anne betrachtete einen Moment lang seine Hand, seine
kräftigen Finger und Sehnen, die dicken Adern, die sich so
stark von seiner bleichen Haut abhoben. Vor ihrem geistigen
Auge stieg das Bild auf, wie diese Hände in den Eingeweiden
seiner Opfer gewühlt hatten. Unwillkürlich wich sie einen
Schritt zurück. Anne wandte ihren Blick von seinen Händen ab
und zwang sich, Kraven direkt ins Gesicht zu sehen. Obwohl er
schon über vierzig war, sah er nicht älter aus als dreißig. Sein
kohlrabenschwarzes Haar, das seinen Zügen etwas
Melancholisches verlieh, hatte man ihm in der Nacht zuvor
offenbar geschnitten, doch sein Gesicht sah so aus, wie Anne
es vom Prozeß her in Erinnerung hatte. Die sanft gerundeten,
fast sinnlichen Lippen, die gebogene Nase und die weit
auseinanderstehenden Augen – die Augen eines Filmstars, wie
Anne immer gefunden hatte – waren dieselben wie sonst.
Weder um den Mund noch um die Augen hatte seine bleiche
Haut Falten. Als er zu ihr sprach, schien es, als könnte er ihre
Gedanken lesen.
    »Wenn ich wirklich schuldig wäre – glauben Sie nicht, daß
man mir das vom Gesicht ablesen könnte? Glauben Sie nicht,
daß mich allein schon das Wissen von dem, was ich getan
haben soll, verändert hätte?«
    Sogar seine Stimme war dieselbe: sanft und vernünftig.
»Haben Sie jemals etwas über Dorian Gray gehört?« konterte
Anne.
    Kraven zog leicht seine Lippen zusammen, aber an seinem
entschlossenen Blick änderte sich nichts. Dieser Gesichtsausdruck war es, der sich Anne am deutlichsten eingeprägt hatte –
die kühle Entschlossenheit war das erste, was ihr vor vier
Jahren nach seiner Festnahme in Bridgeport an ihm aufgefallen
war. Seine Augen waren es, die schon damals sein Gesicht zu
einer bedrohlichen, aber fast verführerischen Maske gemacht
hatten. Als er sie jetzt auf sie richtete, war der Effekt derselbe
wie damals.
    »Sollten Sie nicht ein wenig gnädiger sein?« fragte er.
»Schließlich waren Sie es ja, die alle davon überzeugt hat, daß
man mich töten sollte.«
    Anne schüttelte den Kopf und sagte: »Ich war keine der
Geschworenen, und ich war nicht der Richter. Ich war nicht
einmal eine Zeugin – nicht vor Gericht und nicht bei dem, was
Sie getan haben.«
    Richard Kraven schenkte Anne jenes Lächeln, mit dem er
schon so viele von seiner Unschuld überzeugt hatte. Wäre nicht
die Entschiedenheit in seinem Blick gewesen, hätte man es
gequält nennen können. »Wie können Sie so sicher sein, daß
ich überhaupt etwas getan habe?«
    »Wegen der Beweise«, gab Anne zurück. Ihre Augen wanderten zu der geschlossen Tür am Ende des Flurs, zu dem
Wärter, der sie durch eine Scheibe beobachtete. Wie schnell
würde er es wohl schaffen, die Tür zu öffnen? Einmal mehr
schien Kraven ihre Gedanken lesen zu können.
    »Ihnen ist doch klar, daß ich keine Gefahr für Sie darstelle?«
fragte er mit einer so warmen Anteilnahme, daß sie Anne
beschwichtigt hätte, wären die Worte aus dem Mund eines
anderen gekommen.
    Warum macht er das? fragte sich Anne. Wie bringt er es
fertig, seine Stimme so normal klingen zu lassen? Von der
Anstaltskleidung einmal abgesehen, sah er nach wie vor aus
wie der berühmte junge Professor für Elektronik, der er gewesen war, als er an der Universität von Washington gelehrt hatte.
»Ich glaube, wenn Sie die Möglichkeit hätten, würden Sie mich
auf der Stelle umbringen«, sagte sie ruhig. »Ich glaube, wenn
Sie nicht hinter diesen Gittern säßen, würden Sie mich ohne
großes Nachdenken erwürgen und meinen Körper aufschlitzen,
wie Sie es mit all den anderen getan haben.« Als sie ihm in die
Augen sah, stieg Wut in ihr hoch. Warum konnte er einfach
nicht zugeben, was er getan hatte? Sie hob ihre Stimme. »Wie
viele waren es, Kraven? Von den dreien, wegen denen sie
überführt wurden, einmal abgesehen. Wie viele allein in
Seattle? Fünf? Sieben?«
    Noch immer war in Kravens Augen keine Reaktion zu
erkennen, was Annes Zorn noch steigerte. Es mußte doch eine
Möglichkeit geben, zu ihm durchzudringen, zu diesem…
Mann? Nein, Kraven war kein Mann, er war ein Monster. Ein
kaltes, gefühlloses Monster, das nicht zugeben wollte, was es
getan hatte, geschweige denn Reue zeigte. »Hat man schon alle
Leichen gefunden?« wollte sie wissen. »Um Gottes
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