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Blindes Grauen

Blindes Grauen

Titel: Blindes Grauen
Autoren: Lynn Abercrombie
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von der Wache zurückgekehrt, hatte ein bisschen Papierkram erledigt, dann war sie ins Bett gegangen. Das passte alles nicht.
    Warum kann ich nichts sehen?
    »Hallo?«, rief sie. »Ist jemand da?« Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren ein wenig zittrig.
    Keine Antwort.
    Nur die Uhr. Tick. Tick. Tick.
    Sie zerrte jetzt an ihren Augen herum, fester, sie zog an den Augenlidern, bis es sich anfühlte, als würde sie sich gleich die Haut herunterreißen. Die Schmerzen waren schrecklich, aber es half nichts. Sie klebten einfach zusammen. Schließlich gab sie auf. Wenn sie verklebt waren, waren sie verklebt.
    Sie rollte sich auf die Seite, erhob sich langsam, tastete sich blind vorwärts. Schließlich traf sie auf eine Wand. Eine eigenartige Textur. Wie Schaumstoff. Nicht flach, sondern irgendwie wellig – wie die Unterseite einer Eierschachtel.
    Noch drehte sie nicht durch … aber sie stand dicht davor. Ihr Geist war immer noch verschlafen. Nein, es lag nicht am Schlaf. Die Überreste irgendeiner Droge dämpften ihre Gefühle, verlangsamten ihre Gedanken. Welcher Droge? Sie konnte sich an keinerlei Drogen erinnern. Genau genommen hatte sie im letzten Jahr nichts – nicht einmal ein Glas Wein – angerührt.
    Und da dämmerte es ihr mit entsetzlicher Klarheit: Hier passierte irgendetwas richtig Übles.
    Sie tastete sich an der Wand entlang. Keine Fenster, kein Lichtschalter. Keine Tür.
    Wo ist die Tür? Wo ist die Tür? Nach wenigen Sekunden erreichte sie eine weitere Wand, genau wie die Erste, derselbe wellige Schaumstoffbezug. Wie in einem Aufnahmestudio. Genau – das war Schalldämmung.
    Sie tastete sich eine Weile an der Wand entlang. Wieder kein Fenster, keine Tür, kein Lichtschalter, keine Steckdosen. Sie blieb stehen und lauschte.
    Abgesehen vom Ticken der Uhr war in dem Raum nichts zu hören. Als wäre die Luft selbst taub geworden. Es war nicht nur leise. Es war nicht nur die relative, friedliche Stille eines leeren Kinos oder einer Kirche am Dienstagmorgen. Dies war eine wahrhaftige Stille. Allumfassende Stille. Keine Flugzeuge, kein Verkehr, keine Kinder auf der Straße, kein Hundebellen, nichts. Überhaupt kein Geräusch.
    Außer dem: Tick. Tick. Tick. Tick. Ein Geräusch, das überall und nirgends zu sein schien, das nicht von einem bestimmten Ort herkam, sondern einfach in der Luft um sie herum schwebte.
    Ich vergesse irgendetwas. Warum bin ich hier? Ich muss etwas vergessen haben! Da musste ein Fehler im Spiel sein, sie musste etwas vergessen haben, etwas musste ihrem Gedächtnis entschlüpft sein. Durch irgendeine eigenartige Kombination von unglücklichen Zufällen war sie in einem Tonstudio erwacht, und unglücklicherweise waren ihre Augen verklebt.
    »Hilfe! Irgendjemand! Ich kann nichts sehen!« MeChelle hatte Mühe, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten.
    Und dann kam sie auf den eigentlich offensichtlichen Schluss, wie ein Blitz durchschlug er ihr Denken.
    Unglücklicher Zufall? Vergiss es! Das war kein Zufall. Das war keine Verwirrung oder irgendetwas, was sie vergessen hatte, oder ein eigenartiges Zusammentreffen. Sie hatte sich letzte Nacht nicht gehen lassen und war nun in einem Tonstudio erwacht.
    Man hatte sie hierher gebracht.
    Ihr Herz begann wild in ihrer Brust zu hämmern.
    Hierher gebracht? Wer? Warum?
    Auf jeden Fall gab es keine naheliegende Antwort darauf. Im Geiste ging sie kurz die verschiedenen schrecklichen Möglichkeiten durch – Vergewaltigung, Folter, Entleibung, Missbrauch …
    Verzweifelt tastete sie sich an der nächsten Mauer entlang. Da! Ein Türknauf. Sie drehte ihn panisch. Er bewegte sich nicht. Er hatte kein Spiel, wackelte nicht, auch die Schrauben saßen bombenfest. Tür, Türknauf und Wand hätten alle auch aus einem einzigen großen Stahlstück gegossen sein können.
    Schließlich überkam sie die Angst, sie drängte und bohrte sich durch ihren schwammigen Schädel. Der Drang zu schreien. Hilfe! Bitte! Nein! Was wollt ihr? Nicht! Tut mir nicht weh!
    Aber im selben Augenblick, wie die Angst sie überkam, wurde etwas in ihrem Geist ganz ruhig und still.
    Nein. Schreien half nichts. Angst würde nichts bringen. Wenn man sie hierher verfrachtet hatte, gab es einen Grund dafür. Irgendjemand wäre dort draußen, auf der anderen Seite dieser Mauer. Irgendjemand wartete darauf, dass sie erwachte. Beobachtete sie. Jemand genoss ihre Angst. Das durfte sie nicht zulassen. Wenn sie der Angst nachgab, dann hatte der sie genau da, wo er sie haben wollte.
    Sie atmete tief
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