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Blinder Hass

Titel: Blinder Hass
Autoren: John Sandford
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registrierte die Sonnenbrille und das Sheryl-Crow-T-Shirt mit dem Karpfen vorne drauf und fragte unvermittelt: »Wer sind Sie?«
    »Virgil Flowers, SKA.«
    Sie musterte ihn erneut. »Tatsächlich?«
    »Ja.«
    »Der Sheriff hat gesagt, Sie könnten gleich nach hinten durchgehen.« Sie drehte sich halb um und deutete auf die Rückwand, in der sich eine Tür mit einer Milchglasscheibe befand, auf der SHERIFF JAMES J. STRYKER stand. Virgil nickte und wollte schon an der Frau vorbeigehen, als sie fragte: »Wie oft haben Sie auf diesen Mann in Fairmont geschossen?«
    Virgil blieb stehen. »Vierzehn Mal«, sagte er.
    Sie wirkte erfreut. »Das hab ich auch gehört. Und Sie haben ihn nicht getroffen?«
    »Hab mich nicht so recht darum bemüht«, erwiderte Virgil, obwohl er eigentlich gar nicht mehr darüber reden wollte.
    »Es hieß, er hätte auf Sie geschossen«, sagte die Sekretärin.
    »Ja, schon, aber er wollte mir nicht wehtun«, erklärte Virgil. »Er musste ein bisschen Dampf ablassen, weil er sauer war, dass man ihn erwischt hatte. War eigentlich kein schlechter Kerl, außer dass er Tankstellen überfallen hat. Hatte schließlich eine Frau und acht Kinder zu ernähren.«
    »War also irgendwie sein Job, was?«
    »So ungefähr«, antwortete Virgil. »Jetzt wird er sechs Jahre lang Schilder für Schneepflüge machen.«
    »Hm«, brummte sie. »Ich glaub, die meisten Jungs hier hätten ihn erschossen.«
    »Müssen ja ziemlich hartherzige Jungs sein«, sagte Virgil, dem die Frau unsympathisch war, und ging weiter zu Strykers Büro.
     
    Stryker telefonierte gerade. Virgil klopfte dennoch, und Stryker rief: »Herein«, bedeutete Virgil, Platz zu nehmen, und sagte ins Telefon: »Ich muss jetzt Schluss machen, aber sobald ihr auch nur einen Zehennagel findet, will ich das wissen.« Er legte auf, schüttelte den Kopf. »Die können ihn nicht finden. Judd, meine ich.«
    Virgil machte es sich auf dem Stuhl bequem. »Keine Spur im ganzen Haus?«
    »Ich werd dir mal was erzählen. In den meisten Häusern gibt es eine Menge Kram, der einfach nicht so gut verbrennt«, sagte Stryker, während er nervös mit den Fingern auf seinen Schreibtisch trommelte. »In Judds Haus war alles aus Holz - Böden, Wand- und Deckenverkleidung, Bücherregale -, und vieles davon war Kiefer. Alles trocken wie Stroh. Heute Morgen war nichts mehr davon übrig bis auf den Keller und ein paar Teile aus Metall und Stein - Herd, Kühlschrank und Heizkessel -, und selbst die sind zu Klumpen geschmolzen. Wir glauben, dass er im Haus war. Aber wir haben keine Spur von ihm gefunden.«
    »Hm.«
    »Ich sag dir was, Virgil. Wenn wir nichts finden, wird mir das keine Ruhe lassen«, sagte Stryker. »Und allen anderen im County übrigens auch nicht. Denn dann wissen wir nicht, ob er in Rauch und Flammen aufgegangen ist oder ob er irgendwo auf einer französischen Insel hockt. Dann wissen wir nicht, ob in diesem Truck letzte Nacht nicht Bill Judd gesessen hat, auf dem Weg in die Karibik.«
    »Mein Gott, Jimmy, der Kerl ist wie alt? Achtzig?«, sagte Virgil. »Im Holiday Inn wurde erzählt, dass er ziemlich krank war. Ständig im Krankenhaus. Warum um alles in der Welt sollte er achtzig Jahre lang hier rumhocken und dann, wenn er nur noch ein halbes Jahr zu leben hat, in die Karibik abdüsen?«
    »Vermutlich weil er es witzig findet, alle ein letztes Mal zu verarschen«, sagte Stryker. Er war nervös und murmelte »Dreckskerl« vor sich hin, dann blickte er seufzend auf die beiden dicken Aktenordner auf seinem Schreibtisch und schob sie Virgil zu.
    »Da ist alles, was wir haben. Da ist auch eine DVD mit dem ganzen Kram dabei, wenn du’s dir lieber am Computer ansehen willst. Dazu brauchst du aber einen Adobe Reader.«
    »Okay«, sagte Virgil. »Aber könntest du es mal kurz für mich zusammenfassen? Was ihr habt und was ihr von der Sache haltet.«
     
    Virgil war nämlich gar nicht wegen Bill Judd in Bluestem.
    Er war dort wegen der Gleasons.
    Russell Gleason war fünfzig Jahre als Arzt in der Stadt tätig gewesen und seit zehn Jahren im Ruhestand. Er und seine Frau Anna wohnten in einer reichen Enklave von Geschäftsleuten und Freiberuflern auf einer Anhöhe über dem Stark-River-Stausee, eine Meile östlich der Stadt und sehr günstig zum Bluestem County Club gelegen. Anna hatte in jüngeren Jahren eine Zeitlang als Krankenschwester gearbeitet und war dann in die County Commission gewählt worden, der sie sechs Amtszeiten angehört hatte. Danach hatte sie sich
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