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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel
Autoren: Ursula Poznanski
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abgeben.»
    «Danke.» Beatrice sank auf ihren Stuhl zurück. Florin hatte angekündigt, herkommen zu wollen, sobald der Papierkram erledigt war, und er würde sie suchen, wenn er ihr Zimmer leer vorfand.
    Trotzdem. Es fühlte sich richtig an, noch ein wenig hier sitzen zu bleiben und die eigenen Füße in den Stoffpantoffeln zu betrachten.
    Sie rieb sich die Augen mit beiden Händen. Roch Krankenhausseife und immer noch ein wenig Rauch. Einige Funken waren in ihr Haar geraten und hatten es angesengt.
    Ein Geräusch ließ sie aufblicken. Die Tür zur Intensivstation hatte sich geöffnet. Beatrice erkannte die Frau, die heraustrat, sofort: Ribars Frau, mit vom Weinen verschwollenem Gesicht. Dies war keinesfalls der richtige Zeitpunkt, um sie anzusprechen, doch offenbar hatte sie Beatrice erkannt. Sie steuerte auf sie zu, zögernd zuerst, dann immer energischer. Setzte sich neben sie.
    «Sie sind doch die Frau von der Polizei? Die bei uns zu Hause war?»
    «Ja.»
    Neue Tränen füllten ihre Augen. «Wie hat das nur passieren können? Ich verstehe es einfach nicht. Er ist so ein lieber Mensch …» Sie konnte nicht mehr weitersprechen und ließ es zu, dass Beatrice sie im Arm hielt und sachte wiegte. Hin und her. Ohne ein Wort zu sagen.
    «Es ist so … ungerecht. Die Ärzte meinen, dass …», sie schluchzte auf, «dass seine Chancen ganz schlecht sind. Und er sieht so entsetzlich aus, aber das wäre mir völlig egal, Hauptsache …»
    Sie musste den Satz nicht zu Ende sprechen. Beatrice nickte. Ließ sie weinen, bis sie ruhiger wurde und sich aufrichtete.
    «Wissen Sie», ihr Atem kam immer noch in kurzen, gequälten Stößen, «wissen Sie, was mir die ganze Zeit nicht aus dem Kopf geht? Wenn Boris jetzt stirbt, werden unsere Kinder sich später nicht einmal an ihn erinnern können.»
    Beatrice wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie strich der Frau über den Rücken, bis das Schluchzen verebbte, und sah ihr nach, als sie ging. Den Schock, der ihr bevorstand, wenn sie die Wahrheit erfuhr, wollte sie sich nicht ausmalen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann ihr das letzte Mal jemand so leidgetan hatte.

    Den nächsten Tag hätte Beatrice freinehmen können, doch als Florin sie holen kam, frische Wäsche im Gepäck, bestand sie darauf, mit ihm ins Büro zu fahren. Sie wollte bei dem Gespräch mit Nikola dabei sein, um jeden Preis.
    «Lebt er noch?», war das Erste, was er fragte, als sie den Vernehmungsraum betraten.
    «Ja.» Ohne weiteren Kommentar. Seine Neugier zu befriedigen, lag ihnen beiden fern.
    Nikola gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. «Oh. Ich hatte gehofft …»
    «Sie tun sich da gerade selbst keinen Gefallen», sagte Florin eisig. «Ich würde Sie bitten, sich jetzt auf unsere Fragen zu konzentrieren und keine eigenen zu stellen.»
    Es war nicht seine Art, mit Tatverdächtigen so umzuspringen, selbst wenn ihre Schuld erwiesen war. Sie sah ihn von der Seite her an und schüttelte leicht den Kopf. Good Cop und Bad Cop würden hier nicht nötig sein. So, wie sie Nikola erlebt hatte, war zu erwarten, dass er die Karten auf den Tisch legen würde.
    «Sie sind Nikola Perkovac», begann sie, «geboren 1976 in Pula, aufgewachsen in München, richtig?»
    «Ja.»
    «Und Sie sind als Nikola DVD auf Facebook registriert?»
    «So ist es.» Er wirkte völlig gleichmütig, überhaupt nicht, als ginge es um ihn selbst.
    «Warum wollten Sie bei diesem Gespräch keinen Anwalt dabeihaben?»
    Er zuckte die Schultern. «Nicht nötig. Vor Gericht dann, aber hier ist es mir lieber, wir sind unter uns.»
    Sie seufzte und griff nach dem Block, auf dem sie ihre Fragen notiert hatte. «Wir würden gerne ein paar Dinge aus Ihrer Sicht erfahren. Zum Beispiel, wann und wieso Sie sich der Gruppe Lyrik lebt angeschlossen haben.»
    Ein Lächeln, fast als wollte er mit ihr flirten. «Das wissen Sie doch. Gerald Pallauf hat das Foto dort eingestellt. Marja war schon lange Mitglied der Gruppe. Ihr eigenes Deutsch ist bis heute nicht besonders gut, aber sie liebt deutsche Gedichte. Marja hat das Foto entdeckt und uns andere informiert.»
    «Wer waren diese anderen?»
    Er hob die Hand, zählte an den Fingern ab. «Irena, Dominik, Ira – Adina war zu dem Zeitpunkt schon tot. Außerdem Goran, Tomislava und Vesna, doch die haben sich in der Gruppe nie zu Wort gemeldet. Sie haben sich nicht getraut. Zu geringe Sprachkenntnisse.»
    Beatrice hatte die Namen mitgeschrieben. «Alle diese Leute waren aus
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