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Blinde Angst

Titel: Blinde Angst
Autoren: George D Shuman
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und dachte sich, dass sie wohl nicht allzu viel gesehen hatte – abgesehen von den bizarren Dingen, die in diesem Schloss mit dem roten Zimmer vor sich gegangen waren.
    »Sie haben das gut gemacht, Miss Moore. Sehr gut sogar.«
    »Was werden sie jetzt tun?«, fragte sie.
    »Der Mann hier wird uns nicht weglaufen, ich habe ihn noch extra gesichert. Wir holen ihn, wenn die Stürme vorbeigezogen sind. Meine Männer oben werden mit den Kompassangaben die Schneewehen absuchen. Man gräbt sich eine Höhle in die Seite einer solchen Wehe, nicht darunter. Sie werden jede Schneewehe, die auf der Kompasslinie liegt, mit Lawinensonden absuchen. Wenn sie auf einen Hohlraum stoßen, werden sie graben.«
    »Warum sind die Zahlen so wichtig?«
    »Das da oben ist ein Gebiet von zwanzig Morgen. Eine Abweichung von drei Grad würde sie alle vierhundert Meter um hundert Meter weiter vom Ziel wegbringen. Das heißt, wenn man eineinhalb Kilometer geht, wäre man vierhundert Meter vom Ziel entfernt. Das ist ein himmelweiter Unterschied, wenn es darum geht, ein Loch von zwei mal zwei Metern im Schnee zu finden.«
    Sherry nickte.
    »Haben Sie sich einigermaßen ausgeruht?«, fragte er und überprüfte die Seile und ihr Klettergeschirr.
    »Ich bin okay«, versicherte sie. Und sie begannen mit dem langsamen Aufstieg auf knapp 5000 Meter.
    Der Pave Hawk flog an diesem Abend zwei Rettungsflüge – der erste ging zum Providence Hospital in Anchorage, mit drei Überlebenden des amerikanischen Kletterteams. Sie wurden gut zwei Kilometer vom Bergkamm entfernt gefunden, wo sie sich zwischen zwei Bergspitzen in die Wand gegraben hatten. Die drei Kletterer waren dem Tode nah; sie hatten nicht mitbekommen, dass der Sturm aufgehört hatte. Wenn sie es gewusst hätten, wären sie trotzdem nicht in der Lage gewesen, sich ins Freie zu kämpfen.
    Metcalf war in einer mehr als euphorisierten Stimmung. Seine Energie war ansteckend, und Sherry genoss es, zu seinem Team zu gehören. Sie spürte die Kameradschaft, sie fühlte sich als Teil von etwas Größerem. Für einen Tag war sie mit diesen Männern verbunden.
    In dem Gasthaus am Parks Highway herrschte helle Aufregung, als sie mit dem zweiten Flug ankamen, doch es waren Soldaten, keine Medienleute, die sie dort erwarteten. In der Welt draußen wusste noch niemand, was sich in den vergangenen sechs Stunden auf etwa 5000 Meter Höhe am Denali ereignet hatte. Niemand wusste, dass sie überhaupt dort waren.
    Fünfzig Kilometer entfernt, in der Ranger-Station in Talkeetna, wurden Reporter über den Verlauf der Bergungsarbeiten informiert. Es wurden jedoch niemandem Hoffnungen gemacht, dass die Teams ganz oben im Berg lebend geborgen werden könnten.
    Einen Tag später sollte ein Senator aus Washington die amerikanische Öffentlichkeit mit der Nachricht überraschen, dass seine Tochter Allison unter den drei Bergsteigern war, die am Denali gerettet werden konnten. Er bedankte sich bei der Air National Guard von Alaska, den Denali-Park-Rangers und dem Army High Altitude Rescue Team, die alle dazu beigetragen hatten, die Überlebenden in Sicherheit zu bringen. Nicht erwähnt wurden die Navy SEALs oder der Pilot des Pave Hawk – und auch Sherry Moores Name wurde nicht genannt.
    Am Fuße des Denali standen Tage der Trauer bevor, es mussten Tote geborgen und identifiziert werden, man würde Beerdigungen abhalten – doch das Leben ging weiter. Neue Bergsteigerteams wurden bereits in Talkeetna zusammengestellt, um den Aufstieg zum Gipfel zu planen. Die Katastrophe nahm immer weniger Raum in den Medien ein und wurde allmählich Teil der Geschichte des Berges.
    Für Sherry Moore war die Sache anders. Zu sagen, dass das Erlebnis auf dem Berg sie tief bewegt hatte, wäre untertrieben. Es hatte einen so starken Eindruck bei ihr hinterlassen, als hätte sie mit sehenden Augen auf dem Gipfel gestanden. Und doch konnte sie sich nicht über den Ausgang der Unternehmung freuen; immer wieder kehrten ihre Gedanken zu den Frauen zurück, die in diesem Schloss mitten im Wald gefangen gehalten wurden.
    Sie konnte die letzten Gedanken von Sergio Mendoza nicht einfach auf dem Denali zurücklassen. Immer wieder drängten sie sich in ihr Leben und ihren Kopf. Diese Frauen würden ihr keine Ruhe lassen, bis sie sich aufmachte, um sie zu suchen.
    Und sie hatte große Angst davor, wohin sie die Suche führen würde.

2
    Edmonton, Alberta, Kanada
    Vor dem Konferenzsaal des Hotels, der mit einem Schild mit der Aufschrift Saskatchewan Room
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