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Blinde Angst

Titel: Blinde Angst
Autoren: George D Shuman
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Felsvorsprung kamen. »Wir werden uns vom Bergkamm abseilen. Einer meiner Männer wird uns mit Seilen sichern, bis wir über der Wand sind, dann klinken wir uns in das fixierte Seil ein. Setzen Sie Ihre Schuhspitzen ein. Sie werden sich schnell daran gewöhnen.«
    Sherry nickte und fragte sich, worauf sie sich diesmal bloß wieder eingelassen hatte. Sie hatte schon so manche beängstigende Situation durchgestanden – einmal war sie in Afrika zwischen die Fronten eines Bürgerkriegs geraten, ein anderes Mal hatte sie sich in einem engen Metallkäfig in ein Kohlebergwerk hinunterbringen lassen. Doch Sherry betrachtete sich nicht als leichtsinnig oder als Adrenalin-Junkie. Die Angst, die ihre Blindheit ihr verursachte, hatte sie im Großen und Ganzen bewältigt – doch ansonsten fürchtete sie all das, was jeder vernünftige Mensch fürchtete. Sie hatte jedenfalls keine Todessehnsucht.
    Schritt für Schritt kamen sie voran, gruben ihre Steigeisen in den Berg und suchten Halt im Eis und auf dem glatten Fels. Der Wind schüttelte sie durch, während sie vorsichtig hinuntergelassen wurden, doch sie schafften es über den Bergkamm, und Metcalf klinkte sie beide in das fixierte Seil ein. Dann begann der langsame Abstieg an der Granitwand. Es dauerte fast eine Stunde, bis sie den toten Bergsteiger erreicht hatten, dann machte sich Metcalf schweigend an die Arbeit und begann die dicke Eisschicht vom Arm des Toten zu schälen.
    Es war eine völlig neue Erfahrung für Sherry – beängstigend, aber gleichzeitig ein einzigartiges Erlebnis. Jeder Schritt in der tückischen Eiswand stellte eine neue Herausforderung dar, doch wenn man sie bewältigte, wurde man mit einem fast berauschenden Erfolgsgefühl belohnt. Hier erlebte man die Natur und sich selbst auf extreme Weise.
    Metcalf konzentrierte sich darauf, die Hand des Toten vom Eis zu befreien. Unermüdlich schlug er mit dem Griff seines Messers auf den Handschuh des Toten ein. Als er das Eis entfernt hatte, taute er ihn mithilfe von Chemikalien auf und zog ihn von der Hand ab. Er brauchte weitere fünfzehn Minuten, um Sherry bei der herabhängenden Leiche in eine möglichst bequeme Position zu bringen, in der sie die extremen äußeren Umstände vergaß und sich ganz auf ihre Aufgabe konzentrieren konnte.
    Als sie ihren eigenen Handschuh mit viel Mühe ausgezogen hatte, bewegte sie erst einmal ihre steifen Finger. Sie stellte sich vor, wie das Ende des Mannes gewesen sein musste. Bestimmt hatte er mehrmals versucht, sich aufzurichten, bis seine Kräfte erlahmten. Dann hatte er sich wahrscheinlich in sein Schicksal ergeben und an sein Leben zurückgedacht, an die Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Und wenn Metcalf sich nicht irrte, hatte er vielleicht auch an die Leute gedacht, die er retten wollte. Sie hoffte, dass sie noch einmal in seinen Gedanken aufgetaucht waren, bevor er in den ewigen Schlaf hinüberglitt. Auch wenn sie sich kaum vorstellen konnte, was davon die Rettungsteams zu ihnen in irgendeiner Höhle führen würde, die buchstäblich unter einem Berg aus Schnee begraben war, hoffte sie, dass man sie nicht vergeblich hierher geholt hatte.
    Metcalf stützte sich mit den Füßen an der Felswand ab und legte seine Arme um ihre Taille, um ihr Halt zu geben, während sie nach der Hand des Toten griff. Metcalfs Wange berührte die ihre, während er sie mit beiden Armen an sich drückte. Sie spürte, wie er ihr Seil entlastete. Dann nahm er die Hand des Toten und gab sie ihr in die Hand.
    Einen Moment lang konnte sie an nichts anderes denken als an Metcalfs Arme an ihrem Körper und seinen warmen Atem in ihrem Nacken. Sie nahm sich zusammen und begann die kalten Finger in ihrer Hand zu drücken, bis sie sich weicher anfühlten und sich das vertraute Gefühl einstellte ...
    ... das Gesicht einer Frau, dunkel gefleckte Haut, ihre Lippen bluten, sie liegt auf einem roten Stoff, Kerzenlicht flackert auf einem Reißverschluss und dem weißen Schnee um sie herum. Da ist ein kleines elektronisches Gerät an ihrem Kopf, es sieht kalt und nutzlos aus; jetzt blickt er auf -zum Kinn eines Mannes mit olivbrauner Haut, eng geknüpfter Krawatte, einem gestärkten weißen Hemd und goldenen Manschettenknöpfen. Seine eigene kleine Hand liegt auf der Armlehne eines weißen Korbsessels, der Mann schaukelt ihn, auf einer grünen Wiese über dem blauen Meer. Eine Frau, eine schöne Frau, das Haar zu einem Knoten gebunden, im zweiteiligen Badeanzug unter einem kurzen Bademantel; eine Gruppe
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