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Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)

Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)

Titel: Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
Autoren: Christian Y. Schmidt
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englischsprachigen Radio- und Fernsehprogrammen, sodass man immer weiß, was um einen herum gerade passiert. Während man sich aber noch auf vertrautem europäischem Sprach- und Alphabet-Territorium bewegt, kann man sich bereits an die chinesischen Zeichen gewöhnen, denn auch die sind in Singapur überall präsent. Zwar lernt man nur durch dauerndes Anschauen kein einziges, außer vielleicht das für Mitte (Zhong – ein Oval in einem Kreis) oder Tür (Men – sieht fast so aus wie eine Tür), doch es mildert schon mal den Schock, der sich gewiss einstellen wird, wenn man später in China außerhalb der großen Städte nur noch diese Hieroglyphen sieht.
    In Singapur kann man zudem schon ein Gefühl für die chinesische Grammatik entwickeln. Im Alltag wird hier nämlich ein spezielles Englisch gesprochen, das sich Singlisch nennt und der Struktur des Chinesischen sehr ähnlich ist. Auch im Singlischen steht das, worum es geht, immer am Anfang eines Satzes, in der Regel wird «to be» als Hilfsverb einfach weggelassen, man sagt «can» statt «yes», Substantive kann man auch als Verben gebrauchen, und Artikel gibt es gar nicht. «What talking you?» (statt «What are you talking about?») ist ein typischer singlischer Satz, der unter anderem so schön ist, weil sein Satzbau nicht nur dem chinesischen, sondern auch dem deutschen («Was sagst du?») gleicht.
    Die Aussprache ist für Deutsche sowieso kein Problem. Auf Singlisch sagt man «orreddy» statt «already, «argly» für «ugly» und «eskew me», wenn «excuse me» gemeint ist. Spricht Herr Metzler vom Accounting Englisch, klingt das kaum anders. Hängt man dann noch ein «lah» oder «eh» an jeden Satz, dann hört sich das schon sehr einheimisch an. Ich für meinen Teil mochte Singlisch auch deshalb, weil es mir die Angst nahm, im Gespräch mit englischen Muttersprachlern Fehler zu machen. «Eskew me», erklärte ich dreist. «So sprechen wir in Singapur halt Englisch.»
     
    Hat man sich an die sprachliche Umgebung gewöhnt, kann man sich an die nächste Lektion machen, die eher ein ganzes Blockseminar ist. Das Thema lautet: Wie alt ist mein chinesisches Gegenüber eigentlich? Für einen neuangekommenen Westler ist diese Frage schwer zu beantworten. Chinesen erscheinen ihm alterslos. Gestandene Frauen sind nicht von Mädchen zu unterscheiden, und mancher Mann im besten Alter sieht aus wie ein Konfirmand. Aber auch die Frage nach dem Alter lässt sich in Singapur leichter beantworten als in China selbst. Das liegt daran, dass es hier einfach sehr viel heißer ist als zweitausend Kilometer weiter nördlich, weshalb man sich leichter kleidet. Nun kann man aber an den Beinen und Füßen der Chinesen ihr Alter viel eindeutiger ablesen als am Gesicht. Ich jedenfalls ersparte mir so mehr als einmal peinliche Fehlannahmen. Mit etwas mehr Erfahrung ist man dann auch in der Lage, die Gesichter zu lesen. Auch bei Chinesen schreibt sich dort das Alter ein, wenn auch nicht auf so schreckliche Weise wie bei uns Europäern.
     
    Die nächste China-Lektion lautet: Wie werde ich damit fertig, ein Loser zu sein? Auch das kann man wohl nirgendwo besser als in Singapur erfahren. Die hiesige Wirtschaft wächst bereits seit Ende der Sechziger. Selbst die Asienkrise in den Neunzigern konnte Singapur nicht viel anhaben, und erst die globale Wirtschaftskrise seit 2008 zwang auch den Stadtstaat in die Rezession. Trotzdem hat man hier immer noch das höchste Bruttoinlandsprodukt der Welt. Das heißt konkret: Von 4,6 Millionen Singapurern sind mehr als einunddreißigtausend Millionäre, und jedes Jahr kommen etwa tausend dazu. Damit hat Singapur auch die höchste Millionärsdichte auf der Erde. Neunzig Prozent aller Singapurer besitzen eine Eigentumswohnung, und zwanzig Prozent der Autos, die hier so rumfahren, gehören zur oberen Luxusklasse. Das sind die harten Zahlen der Ökonomielektion, die unter anderem auch besagen, dass Leute wie Sie und ich in den aufstrebenden asiatischen Volkswirtschaften in die Kategorie Verlierer eingeordnet werden. Für China gilt das zwar im Moment noch nur bedingt, aber auch hier hat sicher niemand auf Sie oder mich gewartet.
     
    Die wichtigste Lektion aber, die der China-Novize in Singapur lernt, ist die Tatsache, dass das politische System hier anders funktioniert als zu Hause. China ist, das hat sich inzwischen auch in Deutschland herumgesprochen, keine Demokratie. Für Singapur gilt das Gleiche, selbst wenn man die Bevölkerung alle fünf Jahre
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