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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
Autoren: PeP eBooks
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diesem Tag, der nicht enden wollte. Gegen Abend war der Park nicht mehr so leer wie sonst. Der Nebel hatte zugenommen. Er war jetzt eine dicke, weißliche Schicht. Überall sah man die Köpfe von Leuten über ihr. Sie streiften am Ufer entlang, bewegten sich langsam unter den Bauminseln. Jemand hatte zwei Hunde dabei. Man sah sie nicht, man hörte sie nur hin und wieder bellen. Wahrscheinlich hatten sie die Nasen dicht am Boden. Niemand schien sich aufs Eis zu trauen. Unsere Spuren waren vom Tauwetter ausgelöscht. So fühlten wir uns einigermaßen sicher. Als es finster geworden war, brachen wir so leise wie möglich mehrere morsche Planken aus dem Schloßboden und schoben sie aufs Eis. Dann legten wir uns drauf und schoben wieder andere Bretter an uns vorbei, auf die wir dann krochen. Meter um Meter entfernten wir uns über das knisternde Eis von Schloß Neuschwanstein.
    Als wir festen Boden unter den Füßen hatten, schlichen wir gebückt weiter. Der Nebel schützte uns vor Blicken. Wie Wattebäusche schimmerten die Sterne der Schloßfenster hoch über uns und erleichterten uns die Navigation.
    Sie hatte die Tür angelehnt gelassen. Wir fanden sie in ihrem eiskalten Wohnzimmer, dick vermummt in einen alten, löchrigen Pelzmantel, einen Schal um den Hals. Ihr Gesicht hatte einen feierlichen Ausdruck, dem die Zerstörung seiner Züge durch den Alkohol einen komischen Effekt verlieh.
    »Das Holz ist mir ausgegangen«, sagte sie. »Ich muß morgen in den Wald und neues holen. Das Boot ist im Keller. Ich benutze es als Kartoffelkiste. Ich weiß, daß mein Mann entsetzt wäre, aber es war eine praktische Lösung. Wir müssen die Kartoffeln herausholen und auf Zeitungspapier legen.«
    Dicks Körperfülle wirkte seltsam zerbrechlich in ihrer Nähe. Er sprach nicht. Sein Gesicht war eine fahle Maske. Sie ging mit einer Kerze voran. Es gab offenbar kein Licht im Keller. Auf der engen Treppe drehte sie sich um und lächelte uns an. Ihr zahnloser Mund sah aus wie ein Mauseloch. »Es ist wie in Kindertagen, wenn wir Räuber und Gendarm gespielt haben. Es war immer schöner, Räuber zu sein. Wir sind jetzt die Räuber.«
    Sie erinnerte an ein kleines Mädchen, starrsinnig und besessen davon, jemandem eine Freude zu machen, ohne Rücksicht auf seine Bedürfnisse. Trotz der sucht- und altersbedingten Deformationen ihres Äußeren konnte ich sie mir spielend auf einer Frühlingswiese vorstellen, in der verschwitzten Hand einen zusammengerupften Blumenstrauß, der schon welkte.
    Du hast mehr Leben in dir, als deine Umgebung verkraftet hat, dachte ich. Dein Mann, die Nachbarn, die Leitung des Altersheims, die Regierung, alle sind an deiner Vitalität gescheitert.
    Wir begannen, die Kartoffeln herauszuholen. Das Boot schien in Ordnung zu sein. Paddel und Spritzdecke waren auch da. Wir schleppten alles hoch. Dann standen wir in ihrem Wohnzimmer. Sie hatte drei große Schnapsgläser, randvoll gefüllt, auf die Anrichte gestellt, neben das Bild ihres Mannes in Eisenbahneruniform. Wir hoben die Gläser.
    »Auf die Freiheit«, sagte ich.
    »Auf Sumatra«, sagte Dick.
    »Auf meinen Mann«, sagte sie.
    »Und Ihren Sohn«, sagte ich.
    Wir stießen an und kippten den Schnaps. Sie war die einzige von uns, die danach nicht das Gesicht verzog.
    Dann trugen wir das Boot durch den Park. Es war so finster, daß man nicht die Hand vor Augen sehen konnte. Ein feiner Regen fiel. Der Wind war böig und pfiff in den Baumwipfeln. Wir hatten die Ponchos übergestreift. Einmal wanderte der Scheinwerferkegel eines Autos über den Park. Wir setzten das Boot ab und legten uns hin.
    Dann erreichten wir die Flußschleife, die dicht unterhalb der Höhen verlief und den Park einfaßte. Der Fluß war schwarz wie Pech. Man konnte denken, er sei vollkommen erstarrt. Es rauschte, doch man sah keine Bewegung. Wir ließen das Boot hineingleiten. Ich hielt es am Heck fest und fühlte die Stärke der Strömung.
    Dick stieg ein, mit erstaunlicher Eleganz. Dann folgte ich. Er hatte das Paddel bereits in der Hand und glich die Schwankungen des Bootes aus, die durch die neue Last entstanden. Es ging leichter, als wir dachten. Unsere Augen hatten sich inzwischen so an die Finsternis gewöhnt, daß wir ein wenig von der Wasseroberfläche sahen. Auch rissen hin und wieder die Wolken auf und ließen mattes Mondlicht durch.
    Die Strömung war erheblich und zuweilen auch wild. Mein Freund erwies sich als hervorragender Kajakfahrer. Immer wieder sorgte er mit kräftigen
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