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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
Autoren: PeP eBooks
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Paddelschlägen dafür, daß wir im Fahrwasser blieben. Zuweilen legten wir unter überhängenden Baumkronen an, hielten uns an den Zweigen fest und betrachteten die Karte mit Hilfe einer kleinen Taschenlampe.
    Einmal passierten wir ein Licht am Ufer. Eine Kerze brannte in einem Fenster - sie kam mir vor wie ein Seezeichen. »Da wohnt der verrenkte Mensch«, sagte ich.
    Wir mußten zwei Wehre überwinden. Das Umtragen war kein Problem, da wir außer Dicks Rucksack kein Gepäck dabei hatten.
    Als der Morgen graute, waren wir schon weit weg. Wir stoppten die Fahrt bei einem alten Fabrikgebäude, offenbar eine ehemalige Mühle und Färberei. In einem großen Gebäude mit zerbrochenen Fensterscheiben und defektem Dach lagen Berge von Kleidern. Sie rochen muffig nach Schimmel. Alles Textilien für Frauen: Kittel, Schürzen, Kleider, Röcke, Unterwäsche. Sie schienen hier auf anonyme Körper zu warten, eine Deponie leerer Gestalten, die Ärmel ineinander verschlungen, die blassen Farben der Muster von der Zeit gebleicht. Wir trugen das Boot herein und bedeckten es mit Kleidern. Dann bauten wir uns in dem Textilienberg eine Höhle und krochen hinein. Zum ersten Mal, seit ich ihn wiedergesehen hatte, hatte ich das Gefühl, mit Dick Kuyper richtig reden zu können.
    »Was hast du vor, wenn du zurück bist?«
    »Vielleicht mach ich mein Schiff wieder auf. Es liegt immer noch in Zieriksee. Zur Zeit wohnen Leute drauf, alte Freunde aus der Drogenszene. Sie zahlen keine Miete, aber sie halten den Kahn einigermaßen fit, daß er nicht wegrostet. Vielleicht bau ich eine stärkere Maschine ein. Eine, die bis Sumatra hält.«
    »Warum willst du eigentlich immer noch nach Sumatra?«
    »Wir fliegenden Holländer haben dort viel kaputt gemacht. Wir waren die ersten Kolonialisten auf Sumatra. Wir haben den Batak zum Beispiel ihre Totenfeste verboten, weil sie sich über Wochen hinstreckten und angeblich zu teuer waren. Was für ein kapitalistischer Unsinn, Piet. Für die Batak hatte das Verbot grausame Konsequenzen. Man konnte die Totenseelen nicht mehr besänftigen, sie konnten nun den Nachkommen Schlimmes antun. Soll ich dir sagen, warum es mich zu den Batak zieht, auch wenn dies arme Völkchen heute nur noch eine Touristenattraktion ist? Auch wenn ihre Medizinmänner nicht mehr die ganze Fülle ihrer Naturreligion kennen? Es liegt daran, daß die Batak glauben, daß es zwei Seelen gibt.«
    »Ich weiß. Du hast mich mit deinem Sumatra damals angesteckt. Ich habe mich mit den Batak beschäftigt.«
    »Und was hast du herausgefunden?«
    »Das Christentum kennt nur eine Seele, ebenso der Kommunismus und der Kapitalismus. Die Batak aber wissen, es gibt eine Seele des Lebens, den Tondi, und eine des Todes, den Begu. Wenn ein Mensch geboren wird, kommt der Tondi aus dem Jenseits und schlüpft in ihn. Der Tondi ist alles, was einen Menschen lebendig macht, seine Ideen, seine Phantasie, seine Liebe, seine Energie.«
    »Weißt du auch, wo der Tondi sitzt? Im Kopf, im Blut und, tröstlich für einen alten Säufer, in der Leber.«
    »Wenn der Mensch stirbt, geht der Tondi davon. Er kann übrigens wie ein Mensch aussehen. Wenn er sich auf einen Grashalm setzt und der sich nicht biegt, weiß der Mensch, daß er ein Tondi ist.
    Im Toten aber bleibt der Begu zurück. Der Begu kann sehr böse sein, vor allem, wenn der Mensch lieb war. Begus machen am liebsten alles genau umgekehrt. Piet, ich fahre nach Sumatra, weil ich meinen Tondi suchen will. Er hat sich ziemlich weit entfernt von mir. Zur Zeit fühle ich nur den Begu in mir. Meinst du nicht, daß die meisten Menschen in diesem Land ebenfalls keinen Tondi mehr haben, daß sie von Begus beherrscht werden?«
    Dick drehte sich auf die Seite und wühlte sich tiefer in die Frauenkleider hinein. Im Arm hielt er ein Bündel von Röcken und Blusen. Bald hörte ich an seinen ruhigen Atemzügen, daß er schlief. Ich stellte mir vor, daß sein Tondi auf Zehenspitzen herankam und ihn umschlich, prüfend, ob es sich lohne, noch einmal in diesem Körper zu wohnen. Auch mein Tondi war vielleicht ganz nahe. Ich zog ein großes Bündel weißer Unterröcke aus dem Kleiderberg, krümmte mich mit angezogenen Beinen hinein und schloß die Augen.

Elftes Kapitel
    W ir fühlten uns so sicher, daß wir die Dunkelheit nicht abwarteten, sondern bereits gegen Mittag weiterfuhren. Die Gegend veränderte sich. Die Höhenzüge wurden niedriger, das Tal weitete sich, die Strömung ließ nach. Es gab immer mehr tote Fabriken und
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