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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
Autoren: Thomas Gsella
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geworden.
    Frau Kohl hatte ihren Frieden gefunden. Die Seele war in den Himmel gefahren, und ihr Fleisch, vom Satan so furchtbar in Besitz genommen, war zu einer bizarren Büste erstarrt.
    Ich schluckte. Das war ja grauenvoller als die Willy-Brandt-Statue in der Berliner SPD -Zentrale. Von antikischer Idealisierung also gleichfalls keine Rede …
    »Achtung!«, schrie Lin Peh. »Hinter dir!«
    Viehisch brüllend sprang ein Zombie auf mich zu, und blitzschnell versuchte ich, meine Fäuste in Stellung zu bringen.
    Zu spät.
    Zwei blutglatte Unterarme legten sich wie Stahlklammern um meinen Hals – Schwitzkasten. Ihre Energie war übermenschlich. Ich wurde nach hinten gerissen, verlor den Halt und tauchte rücklings in den satanischen Teich. Knie bohrten sich in meinen Rücken, und meine linke Wange wurde auf den Grund gedrückt.
    Die Luftnot zerriss meinen Schädel, die Brühe floss mir in Nase und Ohren. Notgedrungen bohrte sich mein Blick nach rechts, und was ich sah, war ein Vorhof der Hölle: In einem ausgeleierten Jesuslatsch steckte ein weiblicher Fuß, dessen schorfig schwarze Zehennägel offenbar seit Jahren nicht geschnitten waren.
    Luise Rinser!
    Nein, so wollte ich nicht sterben. Mit letzter Kraft zog ich meine Nervensäge aus dem Rucksack, warf den Akku an und stieß das Gerät nach oben, fuchtelnd, kreuz und quer, von links nach rechts und zurück, kreiselnd, diagonal, stoßend, dann ruckzuck in den zweiten Gang, Schlagmodus …
    Nach dreißig Sekunden spürte ich immer noch das Knie auf meinem Rücken. Doch war es federleicht geworden. Ich tauchte auf.
    Die Nervensäge war verschwunden. Sauer, aber auch beeindruckt blickte Gräfin Dönhoff auf die Körperteile, die einst für die Bundespräsidentschaft kandidiert hatten. Singend nuckelte derweil Queen Mum am Gin. Zwei fast leere Flaschen hielt die Ex-Monarchin in den halbverwesten Händen und grinste selig.
    Dann war es auch mit ihr vorbei.
    Mit der Gewandtheit eines Tigers entriss ihr Lin Peh beide Flaschen und schlug sie mit einem einzigen Karateschlag in Stücke. Queen Mum gurgelte, ächzte, schrie. Dann quollen ihre Augen auf, als ob eine innere Kraft sie nach außen drückte, eine Kraft, der die Königinmutter nichts entgegenzusetzen hatte.
    Dann machte es plopp.
    In hohem Bogen hüpften ihre Augen ins Plasma.
    Zwei Sekunden später explodierte die Gestalt als solche.
    Blieb die Dönhoff.
    Während der letzten Minuten hatte sie unbewegt, fast aufreizend unbeteiligt verharrt. Doch funkelte aus ihren Augen die Gewissheit des Sieges. Auch wirkte sie deutlich dicker als zu Lebzeiten, beinahe moppelig. Wie in einem bösen Traum zogen die Worte des Oberhausener Currywurstverkäufers an meinem inneren Gedächtnis vorüber: »In einer Teufelsgrotte soll die untote Gräfin Dönhoff reihenweise Bastarde fressen, uneheliche Ostpreußen.«
    »Stimmt das?«, fragte ich.
    Die Gräfin öffnete den Mund. Eine grüne Zunge entrollte sich, wurde einen, zwei, drei, sieben Meter lang, blieb eine Zeitlang schwingend über dem Blutsee hängen. Dann zitterte ihre Spitze auf mich zu.
    Sie befand sich nun direkt vor meinen Augen. An ihr klebte ein gelber Haftzettel. Erschaudernd las ich den Text:
    »Nö.«
    Das also war es: Die große Liberale konnte Gedanken lesen, aber nicht mehr sprechen. Eilfertig kramte auch ich einen gelben Haftzettel heraus, schrieb die Worte »Was ist es dann?« darauf und klebte ihn hinter den ersten.
    Postwendend kam die Antwort, diesmal in Sütterlin: »Wir wollen – wir wollten den Widerstand neu beleben. Die Bewegung des 20. Juli. Denn so schade es ist: Hitler kann den Krieg nicht mehr gewinnen.«
    Ich hatte genug gelesen. Hilfesuchend blickte ich zu Lin Peh. Er hatte eine mitgebrachte Luftmatratze aufgeblasen, es sich darauf bequem gemacht, blätterte im Focus und holte sich einen runter. Nun denn.
    Dieser Job war meiner.
    So griff ich zum Äußersten.
    Erneut rief ich die Zunge zu mir. Meine Nachricht war kurz, aber deutlich: »Er kann ihn gewinnen. ICH – BIN – HITLER.«
    Die Zunge züngelte zurück. Die Gräfin las. Dann fiel sie auf die Knie. Nur ihre Haare waren noch zu sehen.
    Ich wartete. Fünf Minuten, zehn, dreißig. Nach einer Stunde war ich meiner Sache sicher.
    »Komm«, sagte ich zu Lin Peh. »Pack deine Sachen.« Wir verließen die Grotte, fanden die Metallplatte offen und tauchten auf. Blau lag der masurische Himmel, marinblau, wirklich, groß und warm.
    Das Taxi hielt vor unseren Füßen. »Einmal Berlin, BKA .« Der
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