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Blankes Entsetzen

Blankes Entsetzen

Titel: Blankes Entsetzen
Autoren: Hilary Norman
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Allbeury sie besuchen. In den Tagen zuvor waren schon einige Besucher gekommen – Susan Blake und Howard Dunn, die Szells, ein paar Freunde der Kinder und, in offizieller Mission, Jim Keenan.
    Allbeury jedoch hatte sich bis jetzt fern gehalten.
    Sie unterhielten sich im Wohnzimmer, das angefüllt war mit Erinnerungen an das Leben mit Christopher; sie sprachen über die Kinder und wie sie mit dem Tod ihres Vaters zurechtkamen, und Lizzie erzählte ihm, dass Jack am Wochenende elf Jahre alt geworden war. Allbeury bemerkte, er könne nur ahnen, wie schwer es für ihn gewesen sein musste.
    »Schwer ist gar kein Ausdruck«, sagte Lizzie.
    »Was ist mit dir?«, fragte er. »Wie geht es dir?«
    Sie hob ihren eingegipsten Arm und bewegte die Finger. »Das hier macht mir das Leben ziemlich schwer.«
    »Und sonst?«
    »An die Kinder zu denken hilft ungemein«, sagte sie.
    Etwas später fragte er, wie viel man ihr über Clare Novak und die Vorgeschichte ihres Sturzes in den Fahrstuhlschacht erzählt hatte.
    »Nicht allzu viel«, erwiderte Lizzie, »weil ich vielleicht gegen sie aussagen muss, falls man sie für prozessfähig befindet.« Sie hielt inne. »Inspector Keenan war hier. Mit einer Kollegin.«
    »Helen Shipley?«
    »Nein«, sagte Lizzie mit schiefem Lächeln. »Kein gebrochenes Bein.«
    Inzwischen war ihr natürlich bewusst, wie knapp sie dem Tode entronnen war, und sie wusste zumindest ein bisschen mehr über die beiden Frauen, deren Ermordung nun Clare Novak angelastet wurde. Und sie wusste auch ein wenig über Allbeurys Verbindung zu diesen Frauen.
    »Inspector Keenan sagte, du hättest versucht, ihnen zu helfen.«
    »Das hat ja auch hervorragend funktioniert«, murmelte Allbeury bitter.
    »Er sagte, sie waren beide mit gewalttätigen Männern verheiratet«, sagte Lizzie, »und hätten sich in ihren Ehen gefangen gefühlt.« Wie ich, dachte sie, sprach es aber nicht aus.
    »Das stimmt.«
    »Keenan sagt, du hast versucht, den Frauen zur Flucht zu verhelfen. Offenbar hat er den Eindruck, du hättest das auch schon für andere Frauen getan.«
    Im Zimmer war es still; nur das leise Ticken der Uhr auf dem Kaminsims war zu vernehmen.
    »Warum?« Sie wusste, dass dies eine der Fragen war, auf die sie unbedingt eine Antwort brauchte, wenn ihre Freundschaft andauern sollte. »Warum tust du das, Robin? Warum willst du es tun?«
    Allbeury saß einen Augenblick schweigend da; dann atmete er tief ein. »Das haben mich im Laufe der Jahre viele Leute gefragt«, sagte er. »Aber du bist die Erste, der ich antworten will.«
    Lizzie schwieg, wartete.
    »Meine Mutter beging Selbstmord, als ich zwölf war«, sagte Allbeury. »Weil sie das Gefühl hatte, sie hätte keine andere Alternative. Sie glaubte, jenseits aller Hilfe zu sein. Und weil die meisten Leute meinen Vater für einen anständigen Menschen hielten – was er nicht war –, meinte sie, niemand würde ihr das Recht zugestehen, unglücklich zu sein.« Er hielt inne. »Sie hatte kein eigenes Leben, keinen Beruf, kein nennenswertes Geld. Keinen Ausweg.«
    Lizzie blieb immer noch stumm.
    »Sie hat mir das alles in einem Brief geschrieben. Sie vermittelte mir das Gefühl, dass ich es hätte wissen müssen. Dass ich einen Weg hätte finden müssen, ihr zu helfen und sie von ihrer Verzweiflungstat abzuhalten.«
    »Du warst zwölf«, sagte Lizzie. »Du hättest ihr nicht helfen können.«
    »Das weiß ich jetzt. Damals wusste ich es nicht.« Er hielt inne. »Diese Geschichte hat mir sehr zu schaffen gemacht … ist vielleicht sogar der Grund, warum ich nie geheiratet habe. Ich bin nicht wie mein Vater, Gott sei Dank, aber ich hatte immer Angst, so zu werden wie er.« Er zuckte mit den Achseln. »Doch es hat wohl auch einiges Gutes bewirkt. Jahre nach dem Tod meiner Mutter, nachdem ich erfolgreich geworden war und mehr Geld verdiente, als ich brauchte, und als ich einiges über Macht und Einfluss gelernt hatte, war ich endlich in einer Position, Frauen zu helfen, die sich in einer ähnlichen Lage befanden wie damals meine Mutter.«
    Lizzie saß einen Moment schweigend da und sagte dann: »Wie ich.«
    »In gewissem Sinne vielleicht ein kleines bisschen wie du.«
    »Ist das der Grund, warum du dich mit mir angefreundet hast, Robin?«, fragte sie. »Hast du gedacht, ich wolle aus meiner Ehe fliehen?«
    »Das dachte ich, ja«, sagte er. »Aber das war es nicht, was mich zu dir hingezogen hat.«
    »Du fühlst dich zu mir hingezogen?«, fragte Lizzie.
    »Sehr«, antwortete
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