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Blankes Entsetzen

Blankes Entsetzen

Titel: Blankes Entsetzen
Autoren: Hilary Norman
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Square, einen Vertrag und Geld, das sie auftreiben mussten – so viele Bündel Geld, dass Joanne fürchtete, Tony würde die Sache doch noch abblasen.
    Aber dann wurde ihr Baby gefunden.
    Irina Camelia Karolyi. Fünf Wochen alt, elternlos und in einem Waisenhaus in Bukarest untergebracht. Keine Verwandten. Keine Zukunft. Keine Hoffnung.
    »Sie ist sehr hübsch«, sagte Joanne leise und starrte auf das Foto, das Dr. Jenssen geschickt hatte: ein winziges Mädchen mit riesigen dunklen Augen, das tatsächlich aussah, als lächele es aus seiner Wiege heraus.
    »Sie ist süß«, sagte Tony. »Ich könnte sie wirklich lieben, Joanne.«
    Von diesem Augenblick an war er ebenso wenig zu bremsen wie Joanne. Während sie bei Sandra, den Nachbarn, ein paar Freunden und der Baugenossenschaft den Weg ebnete und ihre Umwelt auf die Ankunft ihres Adoptivkindes vorbereitete – wobei sie die Wahrheit jedoch vor allen verborgen hielt –, arbeitete Tony wie ein Besessener in seiner Werkstatt, um das nötige Geld zu beschaffen, auch wenn ihm immer schleierhafter wurde, wofür und wen er eigentlich bezahlte.
    »Du hättest sie um eine Kostenaufstellung bitten sollen«, sagte Joanne, nachdem Tony wieder einmal fünfhundert Pfund an Marie Jenssen gezahlt hatte.
    »Du weißt, dass sie das nicht getan hätte«, sagte Tony. »Dir ist doch inzwischen klar, wie der Hase läuft.«
    Allerdings – und das ängstigte sie mittlerweile noch mehr als die erschreckenden Ausgaben. Der Hase, wie Tony es ausgedrückt hatte, war die illegale Adoption, und das Geld, fürchtete Joanne, floss in die illegale Beschaffung von Visa und die Bestechung von Beamten in Gott weiß wie vielen Ländern. Sie hatte von illegalem Babyhandel gelesen, und die Vorstellung, dass jemand so gewissenlos sein konnte, ein Kind zu verkaufen – geschweige denn, eins zu kaufen  –, hatte sie abgestoßen.
    »Findest du, wir sind gewissenlos?«, fragte sie Tony eines Abends. »Weil wir das hier tun?«
    »Nein, verdammt. Das finde ich nicht.« Die bloße Erwähnung machte ihn wütend. »Wir retten dieses Baby, Jo. Wir helfen Irina.«
    Sollten dennoch Zweifel geblieben sein, so waren sie in der Sekunde, als sie Irina sahen, spurlos verschwunden: Am letzten Freitag im darauf folgenden April kam Marie Jenssen an der King’s Cross Station auf die beiden zu, in ihren Armen das Baby. Joanne durchlebte in diesem Augenblick einen letzten Anflug von Panik, als sie sich ausmalte, wie eine Meute Polizisten auf sie losstürmte, sobald Marie ihnen das Baby überreichte.
    Es kam keine Polizei.
    Nur ein kleines Mädchen, damals gerade drei Monate alt. Mit riesigen dunklen Augen, die eindringlich zu ihren neuen Eltern aufschauten.
    »Hallo, Prinzessin«, sagte Tony leise.
    Joanne, unfähig zu sprechen, hielt den Atem an.
    Und Irina lächelte.
    »Glücklich, Joanne?«, fragte Marie sanft.
    »Glücklich ist nicht das richtige Wort.« Joannes Stimme klang erstickt.
    »Tony?« Marie sah ihn an.
    »Genauso.« Tony schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht glauben.«
    »Es ist wahr«, sagte Marie.
    Sie verabschiedete sich Augenblicke später, was Joanne erneut in Panik versetzte.
    »Ich muss mehr wissen«, sagte sie. »Ich muss mehr über sie erfahren!«
    »Sie wissen alles, was Sie je wissen werden«, antwortete Marie. »Das war Ihnen doch klar, Joanne. So laufen diese Adoptionen. Es ist besser für Sie alle.«
    »Marie hat Recht, Liebling«, unterstützte Tony die Ärztin. »Irina gehört jetzt uns. Das ist alles, was wir wissen müssen.«
    »Und wenn sie krank wird?« Das Baby wand sich in ihren Armen. »Wir müssen doch in der Lage sein, ihre Familiengeschichte zu recherchieren.« Sie kannte die Antwort bereits, denn sie hatte das Thema schon früher angeschnitten.
    »Irina ist ein gesundes kleines Mädchen, Joanne«, versicherte Marie ihr. »Sie ist jetzt Ihr Kind, wie Tony schon sagte.«
    »Hör auf, dir Sorgen zu machen, Jo.« Tony streichelte dem Baby über die Wange. »Genieß es einfach.«
    Joanne senkte den Kopf, schloss die Augen und sog den Geruch ihrer kleinen Tochter ein.
    Als sie den Kopf wieder hob, war Marie Jenssen fort.

7.
    Eine knappe Stunde nach dem Fund der Leiche im Schrebergarten warf Helen Shipley – eine dreiunddreißigjährige, zurzeit leicht verkaterte Kriminalinspektorin des AMIT-Teams – gemeinsam mit ihrem Vorgesetzten, Chief Trevor Kirby, einen ersten, Übelkeit erregenden Blick in das weiße Tatort-Zelt. Kurz darauf stieß auch Stephanie Patel zu ihnen, die Dienst
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