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Blankes Entsetzen

Blankes Entsetzen

Titel: Blankes Entsetzen
Autoren: Hilary Norman
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auch Gilly waren in der Nähe, als Lizzie S ihren Kindern die Neuigkeit überbrachte.
    Sie reagierten völlig unterschiedlich: Sophie schluchzte, ließ ihren Kummer heraus, wollte umarmt und getröstet werden und immer wieder hören, dass es nicht wahr sei und dass ihr Daddy wieder nach Hause kommen würde. Auch Edward war
    erschüttert, kämpfte jedoch tapfer um Haltung, als Lizzie ihn mit ihrem gesunden Arm zu umarmen versuchte.
    Jack blieb ganz still, fuhr im Rollstuhl in sein Zimmer und blieb dort stundenlang. Wenn Lizzie, seine Großmutter oder Gilly nach ihm sahen, war er weder feindselig, noch weinte er.
    Er saß einfach nur da.

    Am frühen Samstagabend kam Angela zu Lizzie, die im hinteren Teil des Gartens saß und endlich selbst ein paar Tränen vergoss.
    »Das ist gut«, sagte Angela leise.
    »Ich weine nicht meinetwegen«, sagte Lizzie. »Und auch nicht um Christopher.«
    »Wegen der Kinder«, sagte Angela.
    »Ja«, antwortete Lizzie.
    Ihre Mutter streckte die Arme aus, und Lizzie kam an ihre Brust. »Ich weiß nicht«, sagte sie, »ob Jack es verkraftet.«
    »Bestimmt«, sagte Angela. »Er ist ein bemerkenswerter Junge.«

    Die Briefe fand Lizzie erst mehrere Tage später. Die Frage, ob sie den Kindern diese Briefe geben sollte, machte ihr sehr zu 468
    schaffen, da sie für Edward und Jack – wahrscheinlich auch für Sophie – ein Beweis dafür sein würden, dass ihr Vater Selbstmord begangen hatte, ein Punkt, über den bisher noch nicht gesprochen worden war.
    »Das wäre zu viel für die Kinder«, sagte Lizzie zu Angela.
    »Ich glaube, die Jungs wissen es schon mehr oder weniger.«
    »Es ist eine zu große Last«, beharrte Lizzie. »Wir könnten uns irgendeine glaubwürdige Geschichte ausdenken.«
    »Noch mehr Lügen«, sagte Angela ohne Vorwurf.
    »Irgendwann holen sie dich ein.«
    Als sie Sophie schließlich ihren Brief gab, schien das Mädchen Angst zu haben, ihn zu berühren, und bat ihre Mutter, ihr vorzulesen. Hinterher riss sie Lizzie den Brief aus der Hand und rannte schluchzend in ihr Zimmer.
    »Ich weiß nicht«, sagte Edward kurz darauf zu Lizzie, »ob ich meinen jetzt schon lese.«
    »Lies ihn, wenn du so weit bist«, sagte sie. »Es liegt bei dir, Schatz.«
    »Hast du deinen gelesen?«, fragte er sie.
    »Ja«, antwortete Lizzie.
    »War er schlimm?«, fragte Edward.
    »Nein«, antwortete sie. »Gar nicht schlimm. Voller Liebe.«
    »Wie Dad«, sagte er.

    Jack, der inzwischen aus seiner selbst auferlegten Isolation aufgetaucht war, suchte Lizzie in ihrem Arbeitszimmer auf und hielt ihr seinen Brief hin.
    »Ich dachte«, sagte er, »er hilft dir vielleicht.«
    »Bist du sicher?«, fragte Lizzie. »Ist er nicht zu persönlich?«
    »Ich möchte gern, dass du ihn liest«, sagte Jack. »Wenn es dir nichts ausmacht.«
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    Während Lizzie ihn las, das Blatt zwischen den beiden unverletzten Fingern ihrer rechten Hand, liefen ihr wieder Tränen über die Wangen.
    »Er ist schön, nicht wahr?«, sagte sie, als sie zu Ende gelesen hatte. »Nur sehr, sehr traurig.« Sie sah Jack an. »Hat er dir geholfen?«
    »Ein bisschen.«
    Sie hatte das Gefühl, dass Jack endlich mit ihr sprechen wollte.
    »Es ist furchtbar schwer, nicht wahr, Schatz?«
    Jack nickte; er zögerte.
    Lizzie wusste, dass er an die letzte Nacht dachte, und wartete ab, bis er weitersprach.
    »Ich habe die ganze Zeit das Gefühl …« Er hielt inne.
    »Was, mein Schatz?«
    »Dass es meine Schuld ist.«
    »Natürlich ist es nicht deine Schuld«, sagte Lizzie entsetzt.
    »Aber er ist wegen mir weggegangen.« Sein Mund arbeitete.
    »Ich habe ihn gezwungen zu gehen.« Er schloss die Augen, Tränen quollen zwischen seinen Wimpern hervor und rannen ihm die Wangen herunter. »Wenn ich nicht so auf ihn losgegangen wäre …«
    »Nein.« Lizzies Wut auf Christopher kehrte mit aller Macht zurück. »Das stimmt nicht, Jack, hörst du?«
    Er öffnete die Augen. »Aber es ist wahr, Mom.«
    »Es ist nicht wahr«, sagte sie nachdrücklich und hasste Clare dafür, das diese sie der Fähigkeit beraubt hatte, ihren Sohn in die Arme zu nehmen, wo er sie am dringendsten brauchte. »Hör mir jetzt genau zu, Jack. Und du musst mir glauben.«
    »Aber gibst du mir denn nicht die Schuld?«, fragte er.
    »Wie könnte ich dir vorwerfen, dass du versucht hast, mich zu beschützen?« Lizzie nahm den Brief wieder in die Hand. »Selbst 470
    dein Vater war deswegen stolz auf dich. Er wusste, dass du im Recht warst.«
    »Aber das liegt nur daran, dass ich bin, wie ich
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