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Blackout

Blackout

Titel: Blackout
Autoren: Jonathan Kellerman
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nachdem ich versprochen hatte, daß Western Peds den Ruhm einheimsen würde.
    Mir ging es darum, den Familien zu helfen, daß sie ihren Gefühlen Ausdruck verleihen konnten, die seit dem Bekanntwerden von Hickles unterirdischen Machenschaften unterdrückt worden waren, und darauf hinzuwirken, daß sie diese Gefühle mit anderen teilten, damit sie sahen, daß sie nicht allein waren. Die Therapie war als intensives sechswöchiges Trainingsprogramm geplant, wobei an den Sitzungen sowohl Gruppen - die Kinder, die Eltern, die Geschwister und mehrere ganze Familien - als auch Einzelpersonen teilnahmen, falls nötig. Achtzig Prozent der Angehörigen erklärten ihre Teilnähme, und niemand blieb im Verlauf des Kurses weg. Wir trafen uns um acht Uhr abends in meiner Praxis, einer umgebauten Bürosuite am Wilshire Boulevard, zu einer Zeit, wo das Gebäude ruhig und leer war.
    Es gab Abende, an denen ich die Sitzungen körperlich und seelisch ausgelaugt verließ, nachdem ich miterlebt hatte, daß den Betroffenen die Seelenqualen wie Blut aus einer offenen Wunde drangen. Lassen Sie sich nichts anderes einreden: die Psychotherapie ist eine der anstrengendsten Bemühungen, welche die Menschheit kennt. Ich habe in meinem Leben alle erdenklichen Arbeiten getan: vom Karottenziehen in der brennenden Sonne bis zum Beisitz bei nationalen Komitees in holzgetäfelten Konferenzsälen, aber nichts läßt sich mit der stundenlangen Konfrontation menschlichen Elends vergleichen, die verbunden ist mit der Verantwortung, nur unter Zuhilfenahme von Kopf und Lippen dieses Elend zu lindern. Im besten Fall ist es ungeheuer erhebend, wenn man sieht, wie sich der Patient öffnet, zu atmen beginnt, die Qual von sich weichen fühlt. Im schlimmsten Fall ist es, wie wenn man in einer Jauchegrube surft und um die Balance kämpft, während man eine stinkende Welle nach der anderen über den Kopf gekippt bekommt.
    Die Behandlung hatte Erfolg. Die Augen der Kinder begannen wieder zu strahlen. Die Familien streckten die Hände aus und halfen sich gegenseitig. Nach und nach trat ich zurück, war nur noch der stille Beobachter.
    Ein paar Tage vor der letzten Sitzung erhielt ich den Anruf eines Reporters der National Medical News - ein Wegwerfblatt für Ärzte. Sein Name war Bill Roberts, er war in der Stadt und er wollte mich interviewen. Die Reportage war für praktizierende Kinderärzte gedacht und sollte sie auf das Thema der Mißhandlung von Kindern durch Erwachsene aufmerksam machen. Es hörte sich wie ein brauchbares Projekt an, und ich war mit dem Interview einverstanden.
    Es war halb acht Uhr abends, als ich den Wagen aus dem Parkplatz des Krankenhauses steuerte und nach Westen fuhr. Der Verkehr war um diese Zeit schon ziemlich schwach, und ich erreichte den Hochhausturm aus schwarzem Granit und Glas, in dem sich meine Praxis befand, gegen acht Uhr. Ich parkte in der unterirdischen Garage, ging durch die doppelten Glastüren in eine außer der Dauerberieselung durch Lautsprechermusik stille Lobby und fuhr mit dem Lift hinauf in den sechsten Stock. Die Türen glitten auf, ich ging durch den Korridor, kam um eine Ecke und blieb stehen. Niemand wartete vor der Praxis auf mich, was ich ungewöhnlich fand, weil Reporter normalerweise pünktlich waren. Ich kam näher und sah einen schmalen Lichtstreifen, der quer über den Boden fiel. Die Tür war etwa zwei Zentimeter weit offen. Ich fragte mich, ob jemand von der abendlichen Putzkolonne Roberts eingelassen haben mochte. In diesem Fall mußte ich mit dem Verwalter des Hauses über die Mißachtung der Sicherheitsvorschriften ein ernstes Wort reden. Als ich an der Tür stand, wußte ich, daß etwas nicht in Ordnung war. Rings um den Türknopf waren Kratzer zu erkennen, und auf dem Teppich lagen Metallspäne. Dennoch betrat ich meine Räume, als ob ich nach einem Drehbuch reagierte. »Mr. Roberts?«
    Das Wartezimmer war leer. Ich ging hinein ins Sprechzimmer. Der Mann auf dem Sofa war nicht Bill Roberts. Ich war ihm nie begegnet, kannte ihn aber sehr gut.
    Stuart Hickle lag in den weichen Baumwollkissen. Sein Kopfoder das, was davon übrig war- lehnte an der Wand, die Augen starrten leer zur Decke. Seine Beine waren spastisch verkrümmt. Eine Hand lag auf einem nassen Fleck zwischen seinen Schenkeln. Er hatte eine Erektion. Die Adern an seinem Nacken standen reliefartig hervor. Die andere Hand lag schlapp auf seiner Brust. Ein Finger war um den Abzug einer kleinen, stählern-blauen Pistole gekrümmt. Die
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